Der gläserne Mensch

26.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Spion lauert in der eigenen Tasche: das Handy. Spätestens seit der ChaosComputerClub aufgezeigt hat, was der nützliche Begleiter alles über unser Leben verrät, sollten wir vorsichtiger damit umgehen.

Die Chancen dafür stehen allerdings wohl eher schlecht: Längst wird über das Mobiltelefon mehr und häufiger telefoniert als über das klassische Telefon zu Hause oder im Büro. Kein Wunder, hat doch die Zahl der Handyverträge die der Telefonanschlüsse längst übertroffen. Rein statistisch verfügt inzwischen jeder Bundesbürger über 1,3 Mobiltelefone. Mit denen wird nicht nur telefoniert: Allein 2009 wurden 32,6 Milliarden Kurzmitteilungen verschickt.
 
Auch wenn das auf den ersten Blick völlig ungefährlich erscheinen mag: Jeder Anruf, jede SMS liefert Daten. Und auf die will der Staat unter dem Denkmantel der Verbrechensbekämpfung zugreifen. Dazu hat die vormalige große Koalition die Vorratsdatenspeicherung durchgesetzt, ein Angriff auf die Bürgerrechte, über den am Dienstag das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Die Daten, die da gewonnen werden, liefern nämlich nicht nur Details über Freundschaften, Beziehungen, sie verraten, wie oft sich Menschen treffen, wo sie sich gerne treffen.
 
Nichts bleibt verborgen. Sogar Krankengeschichten lassen sich nachvollziehen. Was tut ein Mann mit über 50, der mehrmals hintereinander bei einem Urologen anruft, die Praxis aufsucht und dann Kontakt mit einer Klinik aufnimmt, die auf Prostataoperationen spezialisiert ist?  Diese Informationen gehen weit über das Maß dessen hinaus, was viele Menschen in ihrer näheren Umgebung ausplaudern. Den Staat gehen solche Dinge erst recht nichts an.
 
Aber selbst wenn Karlsruhe die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklären sollte: Die Daten, die Telekom, Vodafone, O2 und Co. für den Staat speichern müssen, haben die Unternehmen größtenteils sowieso auf ihren Servern. Wie sollten sie sonst Einzelverbindungsnachweise erstellen? Und wie sicher die Daten dort sind, sollte spätestens seit den Skandalen der vergangenen Jahre bekannt sein.
 
Zudem sind unsere Telefondaten nicht die einzigen Informationen, die wir Privatunternehmen gegenüber preisgeben. Die ältere Dame, die Payback-Punkte sammelt, der Geschäftsreisende, der seine Hotels und Flüge im Internet bucht, die Schülerin, die sich auf einer Spieleseite im Internet tummelt, der Sammler, der regelmäßig bei Ebay zum Stöbern geht – sie alle verraten mehr von sich als sie wollen. Chatter und Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook legen dagegen oft genug ihr Innerstes offen – auch wenn sie sich über die Folgen häufig nicht im Klaren sind.
 
Wie bei den Profilen, die sich aus den Handy- und Telefondaten erstellen lassen, gilt auch in diesem Bereich: Gefährlich wird es vor allem dann, wenn die Informationen miteinander verknüpft werden. Im Angesicht von Internetgiganten wie Google, das sich über seine Suchmaschine, die Klickverfolgung – selbst wenn wir uns auf anderen Seiten wähnen, ist Google ganz dicht bei uns –, Googlemail und StreetView Daten sammelt und gezielt auswertet, ist auch das letzte Stückchen Privatsphäre dahin. Es reicht schon, sich über die Suchmaschine eine Bergtour anzeigen zu lassen – und schon erscheinen in der Folge auch neben anderen Suchergebnissen im Werbefenster regelmäßig Angebote für Bergschuhe und Rucksäcke. Doch Google kennt auch all unsere anderen Hobbys und Vorlieben. Google weiß, wohin wir in Urlaub fahren und was wir unserer Frau zum Valentinstag geschenkt haben.
 
Wir sind längst zu gläsernen Menschen geworden.  Deshalb ist eine politische und juristische Auseinandersetzung mit Google und Co. unausweichlich. Auf der anderen Seite müssen wir bewusst mit Handy und Co. umgehen: die Vermeidung von Daten ist bislang der effektivste Weg im Kampf gegen die Datenkraken aus Staat und Wirtschaft.