"Klarer Verstoß gegen die persönliche Freiheit"

02.11.2009 | Stand 03.12.2020, 4:28 Uhr

Folgenreich: Ob bei einer Verhaftung oder mit nacktem Oberkörper in der Tür – wenn in diesem Moment das Kamera-Auto von Google Street View filmt, dann stehen die Bilder für alle sichtbar im Internet.

Riedenburg (DK) Nachdem der DONAUKURIER am Samstag mit Berufung auf juristische Gutachten berichtet hat, dass Google mit seinem Street-View-Projekt offenbar massiv gegen deutsches Recht verstößt, regt sich in vielen Kommunen Unmut gegen den organisierten Angriff auf die Privatsphäre der Bürger.

Franz-Peter Sichler (SPD), der amtierende Bürgermeister von Kelheim, ist auf Grund der Berichterstattung im DK bereits tätig geworden, wie er gestern erklärte. Er lässt prüfen, "welche Möglichkeiten wir haben, gegen Google Street View vorzugehen". Für ihn stellt das Ablichten und ins Internetstellen ganzer Straßenzüge samt Menschen "einen klaren Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte und einen Eingriff in die persönliche Freiheit" dar.

Seit Google mit seinen Kamerawagen und einer in drei Meter Höhe positionierten Kamera systematisch ganze Städte Straße für Straße fotografiert, um diese Bilder später über Google Street View im Internet weltweit verfügbar zu machen, kann niemand mehr, der im Garten sitzt oder gerade den Müll rausbringt, sicher sein, nicht für immer im weltweiten Netz von Millionen Menschen gesehen zu werden.
 
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Google hat seine Augen überall und verstößt damit hunderttausendfach gegen deutsche Gesetze. Zu diesem Urteil kommen – wie in der Wochenendausgabe berichtet – juristische Gutachten, die der DK in Auftrag gegeben hat.

Den Gutachten zufolge ist der Tatbestand des Datenmissbrauchs nicht erst erfüllt, wenn diese detailreichen Fotos hundertausender Wohn- und Geschäftshäuser im Internet veröffentlicht werden. Bereits die bloße Speicherung der Bilder stelle einen massiven Eingriff in die vom Grundgesetz garantierte informationelle Selbstbestimmung dar.

Der DK machte in seiner Samstagsausgabe auf diesen Gesetzesbruch und den organisierten Angriff auf die Privatsphäre aufmerksam. Beeinträchtigt werden Datenschutzgesetze ebenso wie die zentralen Persönlichkeitsrechte, so Hans-Werner Moritz und Claus Köhler, zwei überaus renommierte Juristen. Jetzt drohen Google zahlreiche Klagen. Auch der DONAUKURIER erwägt, gegen den Konzern vor Gericht zu ziehen.

Auch in den Kommunen wächst der Unmut über den von Google veranstalteten Angriff auf die Privatsphäre. Doch wie Kelheims amtierender Bürgermeister Sichler erfahren hat, "hat die öffentliche Hand auf Grund der aktuellen Rechtslage keine Handhabe gegen dieses Vorgehen". Der einzelne Bürger aber könne sich per Verfassungsklage sehr wohl wehren. "Wir werden auf jeden Fall die Bürger informieren, wann der Kamerawagen von Google bei uns unterwegs ist", versichert er. Außerdem will er sich beim Innenministerium und beim Städtetag erkundigen, was man gegen Google Street View unternehmen kann.

Mit großer Skepsis sieht der Riedenburger Vize-Bürgermeister Siegfried Lösch (CSU) das Street-View-Projekt. "Ich sehe die Privatsphäre sehr gefährdet." Er kenne die Rechtslage zwar nicht im Detail, "aber die Bürger, die nicht wollen, dass Google ihr Haus oder sie selbst filmt, sollten sich wehren – ich werde das auch tun".

Das Leben der Menschen werde ohnehin zunehmend öffentlich, findet Lösch. Aber gerade deshalb "muss man schon noch einen Rest übrig lassen, in dem man sich frei bewegen kann". Er hofft indes, dass sich der Landtag und der Gemeindetag mit dem Thema befassen. Als Vize-Bürgermeister von Riedenburg werde er anregen, die rechtlichen Hintergründe auf kommunaler Ebene zu klären und das Thema auch im Stadtrat zu besprechen.

Auch Rita Böhm (CSU), die Bürgermeisterin von Kinding, will das Thema im Gemeinderat diskutieren und dann entscheiden, wie sich Kinding verhalten wird. Sie hält Google Street View für "sehr bedenklich". Man komme sich mittlerweile überall beobachtet vor, meint sie. "Das Ganze nimmt beängstigende Ausmaße an, es ist fast gruselig." Als Rathauschefin will sie deshalb in ihrer Gemeinde Aufklärung leisten und zudem nach Möglichkeiten suchen, wie man die Bürger schützen kann.

Animiert von der DK-Berichterstattung will die Beilngrieser Bürgermeisterin Brigitte Frauenknecht (BL/FW) das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Amtsleiter-Besprechung setzen. "Mich würde interessieren, ob andere Gemeinden schon Erfahrungen gesammelt haben." Sie habe sich noch nicht mit der rechtlichen Situation befasst und wisse deshalb nicht, ob die Gemeinde etwas dagegen tun könne – hält das Google-Projekt aber für einen Eingriff in die Privatsphäre. "Ich möchte nicht, dass mein Haus und Grundstück im Internet veröffentlicht werden."

Josef Kundler (CSU), dem Bürgermeister von Mindelstetten, ist nicht bekannt, ob die Google-Kameras in seiner Gemeinde schon aktiv waren. Hinweise oder Anfragen von Bürgern habe es bislang nicht gegeben. Kundler ist "nicht begeistert" von der Google-Aktion. "Das muss nicht sein", betont er. Die Bedenken, wonach zum Beispiel Einbrecher das durch die Bilder im Netz erworbene Wissen um mögliche Ziele nutzen könnten, bezeichnet er als nachvollziehbar.

"Das Problem, dass Menschen hier ausgekundschaftet werden, ist nicht ohne", betont Kundler. Für seine Verwaltung sieht er aber kaum Möglichkeiten, um einzugreifen. "Wir könnten die Regierung von Oberbayern oder den Städte- und Gemeindetag einschalten." Die seien hier die richtigen Ansprechpartner.

Dass sich der Bayerische Gemeindetag mit dem Angriff auf die Privatsphäre der Bürger durch Google Street View befasst, ist bereits so gut wie sicher. Das erklärte gestern dessen Präsident Uwe Brandl (CSU), der zugleich Bürgermeister von Abensberg ist. Die nächste Sitzung des Präsidiums finde am 18. November statt, so Brandl.

Brandl weist aber zugleich darauf hin, dass der Gemeindetag nur eine Bewertung abgeben könne. "Wir können uns nur positionieren und den Gesetzgeber auffordern, das zu unterbinden." Darüber hinaus werde der Gemeindetag freilich die Gemeinden beraten.

Hilfestellung vom Gemeindetag erhofft sich auch Dietfurts Bürgermeister Franz Stephan (CSU), der Google Street View ebenfalls als Angriff auf die Privatsphäre der Bürger wertet. Zudem hält er das Angebot des Internet-Riesen schlicht für überflüssig. "Das muss nicht sein. Wer braucht so etwas überhaupt" Wie viele seiner Kollegen ist sich Stephan noch unschlüssig über die Möglichkeiten der Stadt, gegen Google vorzugehen.

Ob die umstrittenen Google-Fahrzeuge ihrem Treiben auch in der Gemeinde Altmannstein nachgehen, sei ihm nicht bekannt, sagt Manfred Zippel, der Geschäftsführende Beamte im Rathaus. Er schließt aber nicht aus, dass sich Bürger, die sich durch die Google-Aktivität um ihre Privatsphäre sorgen, bei der Kommune melden. Beschwerden werde man sammeln und "nach oben durchreichen", kündigt er an. Damit meint er übergeordnete Institutionen wie den Freistaat oder den Städte- und Gemeindetag. Generell sei es für eine kleine Kommune schwierig, sich mit einem so großen Internet-Betreiber wie Google anzulegen.

"Wenn man es verbieten kann, würde ich das gerne tun", findet der Eichstätter Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer (SPD), deutliche Worte. "Wenn man eine Straße normal fotografiert, ist das ja öffentlich, aber von drei Metern Höhe würde ich es verbieten und würde mich mit Händen und Füßen dagegen wehren", sagt er.

Heinz Leupold, zuständig für die Kommunalaufsicht im Landratsamt Eichstätt, ist indes ein wenig ratlos. "Ob sich Google bei einer Kommune anmelden müsse, bevor sie die Aufnahmen machen? Ich weiß es nicht", erklärt er.

Die Frage nach der Zuständigkeit stellt sich derzeit offensichtlich überall – und wird durchaus kontrovers diskutiert. Im Gegensatz zu seinem Vize Lösch sieht der Riedenburger Rathauschef Michael Schneider (CSU) zum Beispiel keinen Handlungsbedarf. "Wir sind momentan nicht gefragt", meint er. Er wisse um die Problematik und um die Gefahren für die Privatsphäre, "doch das fällt nicht in die Regelungskompetenz eines Stadtrats oder Kreistags", sagt er.

Auch für den Kelheimer Landrat Hubert Faltermeier (FW) geht es hier um einen "Angriff auf die Privatsphäre eines jeden einzelnen", den aber "jeder für sich selbst behandeln und beurteilen muss". Sicher gebe es Grenzen, wo der Privatbereich geschützt werden müsse. Der Gartenzaun sei hier die Grenze. Das individuelle Einspruchs- und Widerspruchsrecht könne jeder für sich in Anspruch nehmen, erklärt der promovierte Jurist, stellt aber zugleich klar, dass das "eine Sache jedes einzelnen ist und nicht die Aufgabe des Landkreises".