Wie Deutschland die Datenschutzreform der EU schwächt

19.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:54 Uhr

Er ist laut LobbyPlag mit 189 eingereichten Änderungsvorschlägen, die Datenschutz-Verordnung schwächen würden und den Wünschen großer Unternehmen stark ähneln, der Spitzenreiter der Datenschutzgegner: Axel Voss, Europa-Abgeordneter für die CDU in der Region Mittelrhein. „Ich setze mich für einen ausgewogenen Datenschutz ein, der dem Einzelnen starke Rechte und starken Schutz vermittelt und den Wirtschaftsteilnehmern genügend Entfaltungsmöglichkeiten lässt“, so der deutsche Politiker.

Das klingt zunächst recht vernünftig. Bei näherer Betrachtung fällt aber schnell auf: Was „genügend Entfaltungsmöglichkeiten“ für Wirtschaftsteilnehmer bedeutet, kann je nach Standpunkt stark variieren. Axel Voss jedenfalls hat dazu eine genaue Vorstellung – die sich anscheinend seit 2011, wo er noch auf einen „Datenradierer“ pochte, stark geändert hat. Nur ein Beispiel von vielen ist da etwa sein Vorschlag zur Verwendung pseudonymer Daten. Pseudonyme Daten sind vereinfacht gesagt die Daten, die zu einem Pseudonym gehören. Ein Beispiel: Wählt man bei einem sozialen Netzwerk nicht seinen Vor- und Zunamen als Nutzernamen, sondern ein Pseudonym, gibt es trotzdem Daten, die ein Bild von der Person zeichnen. Anonym sind diese Daten also trotz Pseudonym trotzdem nicht. Und ebenso verhält es sich mit Daten, die sich hinter dem Pseudonym etwa einer IP-Adresse verstecken: Über damit verknüpfte Daten wie Gewohnheiten, Aufenthaltsorte, Vorlieben, Suchanfragen und Charaktereigenschaften kann leicht ein Profil der Person hinter dem Pseudonym gebildet werden; man spricht hier vom sogenannten Profiling.

Mit den so gewonnenen Informationen lässt sich einiges anstellen: von genau auf die Person zugeschnittene Shoppingangeboten bis hin zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit („Scoring“). Jedem dürfte schnell einleuchten, dass pseudonyme Daten auch ohne Passfoto, Name und genauer Hausanschrift personenbezogene Daten sind. In der Verordnung der EU soll deshalb dem Profiling auch der Riegel vorgeschoben werden beziehungsweise nur dann erlaubt sein, wenn der Betroffene ausdrücklich seine Zustimmung gibt.

Hier kommt Axel Voss wieder ins Spiel: Er erkennt pseudonyme Daten nicht als personenbezogen an. Er sagt: Pseudonyme Daten, sind anonyme Daten. Daher braucht man zu ihrer Verarbeitung auch keine Zustimmung. Voss’ Antrag für die Europäische Datenverordnung – der dem aus dem Lobbypapier des Internetgiganten Yahoo auffällig ähnelt – sieht vor, Daten, aus denen etwa die ethnische Herkunft, politische Überzeugungen, Glaubenszugehörigkeit hervorgeht ohne Einwilligung verarbeiten zu dürfen, solange diese „pseudonymisiert“ sind. Auch Informationen über die Gesundheit, sexuelle Vorlieben und bestehende Strafurteile dürften somit ohne Genehmigung verarbeitet werden. Aus Axel Voss’ Mund klingt das Ganze sogar so, als würde man als Internetnutzer davon nur profitieren, obwohl eben genau das Gegenteil der Fall ist: „Personalisierte Werbung bleibt im Netz weiter möglich, unterliegt aber mehr Transparenz und mehr Kontrolle durch den Nutzer selbst. Ohne die Zustimmung des Nutzers ist eine zugeschnittene Werbeansprache und das Bilden von Nutzerprofilen nur mit datenschutzfreundlich verfremdeten, pseudonymisierten Daten möglich.“

Hätte Voss damit Erfolg, hätte das zur Folge, dass der Internet-User ohne seine Zustimmung, ja sogar ohne sein Wissen, von Firmen und Institutionen bewertet und identifiziert werden kann – er wird gläsern. Durch die simple Verneinung von pseudonymen als personenbezogene Daten hätte jeder, der im Internet aktiv ist, dank Axel Voss keinerlei Kontrolle mehr über seine eigenen Daten. Oder einfach gesagt: Axel Voss' Vorschlag macht im Grunde eine neue Datenschutz-Verordnung unnötig, denn die meisten Daten im Internet sind – schon allein aus Effizienzgründen – pseudonymisiert und müssten deshalb laut Voss ohnehin nicht geschützt werden. Und das ist nur einer der Vorschläge des CDU-Mannes aus Deutschland, der auch als Verfechter der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gilt.

Axel Voss ist allerdings nicht der einzige EU-Abgeordnete, der seine Vorschläge auf Änderung der Datenverordnung eins zu eins aus Lobbypapieren übernommen hat. Andreas Schwaab, EU-Abgeordneter und ebenfalls CDU-Mann, steht seinem Kollegen in nichts nach. „Der von Schwaab eingebrachte Änderungsvorschlag zum Artikel 4 Ziffer 13 stammt Wort für Wort, Zeile für Zeile aus einem Lobby-Papier von Amazon“, urteilt LobbyPlag-Gründer Richard Gutjahr. Laut Gutjahr habe Schwaab das auch nicht geleugnet. Er habe zugegeben, „dass man nicht mehr überprüft, wo kommt jetzt dieser Text zu diesem Antrag überhaupt her“.

Auch Bundesinnenminister Thomas De Maizière (CDU) macht in Sachen Datenschutz keine gute Figur: Laut LobbyPlag brachte er für Deutschland 73 Änderungsanträge in den Europäischen Rat ein. 62 davon würden das Datenschutzniveau senken. Kein anderes Land, so LobbyPlag, hat versucht, mehr Wünsche aus Lobbypapieren zu realisieren. Damit belegt Deutschland den ersten Platz der datenschutzfeindlichsten Länder der EU. „Wenn es um unsere Grundrechte geht, macht sich Deutschland gar für eine Selbstregulierung durch die Datensammler stark“, urteilt Gutjahr. Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Datenschützer? Letzteres scheint nach derzeitigem Stand eher ein Mythos zu sein.