München
"Es geht nur über Europa"

Datenschützer Thomas Petri über das Schweizer Street-View-Urteil und die Folgen

22.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:55 Uhr

Zuständig für den Datenschutz in Bayern: Thomas Petri, der Landesbeauftragte - Foto: Webel

München (DK) Das Schweizerische Bundesgericht hat Google für seinen Panoramadienst Street View konkrete Vorgaben gemacht. Thomas Petri, der Bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, erläutert im Interview mit Tom Webel, welche Grenzen den Diensten hierzulande gesetzt werden und wie sich Bürger wehren können.

Herr Petri, was dürfen Panoramadienste wie Google Street View in Deutschland, was dürfen sie nicht?

Thomas Petri: Das Urteil der Schweizer Richter liegt in etwa auf einer Linie mit der Haltung der deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden. Die haben eine Verhandlungslinie festgelegt, die besagt, dass man besonders sensible Bereiche aussparen muss. Man muss zum Beispiel Aufnahmen von Kliniken, Strafvollzugsanstalten und ähnlichen Bereichen anonymisieren. Das müssen diese Dienste von selber leisten. Sie müssen nach Möglichkeit auch eine Anonymisierung von Personenbildern durchführen.

 

Zwischenfrage: Sind das rechtliche Vorgaben oder „nur“ Forderungen der Datenschützer?

Petri: Die Datenschutzaufsichtsbehörden vertreten die Auffassung, dass das alles rechtlich geboten ist. Es gibt da in Deutschland auch keinen Dissens.

 

Ich hatte Sie unterbrochen.

Petri: Der zweite Punkt ist, dass die Bürger, die Besitzer einer Wohnung oder eines Hauses sind, sich gegen eine Bildaufnahme ihres Gebäudes oder ihres Anwesens wehren können. Dafür müssen sie Widerspruch einlegen. Bei Google Street View haben sich Hunderttausende gewehrt. Bei Streetside von Microsoft waren es schon weniger. Da merkt man, wie schwierig es ist, immer wieder Kräfte zu mobilisieren, und wie bürokratisch dieses Verfahren ist, weil Sie sich gegen jeden einzelnen Panoramadienst wehren müssen. Das sind die Nachteile dieser Widerspruchslösung. Die ist ein Kompromiss zwischen den Datenschutzbehörden und den überwiegend aus den USA stammenden Panoramadiensten.

 

Das Schweizerische Bundesgericht kommt zu dem Ergebnis, dass „Abbildungen von Privatbereichen, die dem Einblick eines gewöhnlichen Passanten verschlossen bleiben, nicht ohne Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht werden dürfen“. In anderen Worten: keine Aufnahmen über Gartenmauern hinweg. Warum ist das in Deutschland erlaubt?

Petri: Zu diesem Thema gibt es in Deutschland eine ähnliche Rechtsprechung. Die besagt, dass es respektiert werden muss, wenn jemand erkennbar seinen Grund vor neugierigen Blicken schützt. Ich habe also durchaus die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.

 

Der einzelne Bürger muss aber von sich aus dagegen vorgehen.

Petri: Nach der gegenwärtigen Verhandlungslage ist das so.

 

Mittlerweile sind auch die Satellitenaufnahmen, zum Beispiel bei Google Maps und Bing Maps, sehr hochauflösend. Wie ist hier die rechtliche Situation?

Petri: Das ist schwieriger als bei den Panoramadiensten. Es gibt eine EU-Richtlinie, die ausdrücklich die Nutzung von Geodaten fördern soll. Da ist zwar vorgesehen, dass die Datenschutzbelange angemessen berücksichtigt werden. Aber was heißt das konkret? Auch der Freistaat Bayern hält ja einen Satellitenbilder-Dienst vor.

 

Muss ein Unternehmen wie Google aber nicht besonders streng behandelt werden, da es durch die Verknüpfung seiner Informationen – zum Beispiel was Surfverhalten, E-Mail-Inhalte und Wohnsituation angeht – perfekte Profile erstellen kann?

Petri: Anbieter wie Facebook und Google werden von den Datenschutzbehörden natürlich scharf beobachtet, da hier ein enormes Auswertungspotenzial liegt. Die Schwierigkeit ist, dass diese großen Anbieter meistens in den USA sitzen. Die Frage ist deshalb: Wie setzen wir unsere Datenschutzstandards durch? Meine Antwort ist: Es geht nur über Europa. Wir müssen erreichen, dass europaweit ein hoher Datenschutzmindeststandard erreicht wird, der den Mitgliedsstaaten aber auch Spielräume für weitergehenden Datenschutz lässt. Europa muss mit einer Stimme sprechen. Dann wird es auch für Anbieter aus Übersee schwieriger, das zu ignorieren.

 

Würde damit auch die Debatte wegfallen, ob diese Unternehmen in Deutschland dem deutschen Recht unterstellt sind?

Petri: Ja. Im Moment beruft sich zum Beispiel Facebook immer auf die irische Datenschutzbehörde, da das Unternehmen dort eine Niederlassung hat und in Irland – ohne dem irischen Kollegen zu nahe treten zu wollen – andere Datenschutzstandards angelegt werden als die, die wir in Deutschland anlegen würden.

 

Sehr ärgerlich war für viele Facebook-Nutzer die Umstellung auf die Chronik, bei der alle Ereignisse aus der Vergangenheit eines Nutzers dargestellt werden.

Petri: Das ist aus der Perspektive eines Datenschützers gesehen schlimm. Man kann all die Einträge aus der Vergangenheit natürlich löschen. Aber das ist mit viel Aufwand verbunden, und Sie können sich nicht sicher sein, ob sie nicht nach der nächsten Änderung wieder drin sind. Zurzeit braucht man etwa 40 Klicks, bis man sein Facebook-Profil einigermaßen privatsphärekonform eingestellt hat. Facebook hat das bewusst so kompliziert gemacht. Spannend wird es, wenn auf dem Markt der Sozialen Netzwerke ein anderer Anbieter erscheint, der ähnliche Funktionen wie Facebook bietet, aber mit wesentlich einfacheren Einstellungsmöglichkeiten für die Privatsphäre.