London
"Tempora" stellt alles in den Schatten

Britischer Abhördienst lauscht in interkontinentalen Glasfaserkabeln – Abgeschöpfte Datenmengen größer als bei Amerikanern

23.06.2013 | Stand 02.12.2020, 23:59 Uhr

London (DK) Wer dachte, dass das geheime US-Abhörprogramm „Prism“ alle bisher bekannten Dimensionen sprengt, darf umdenken. Seit 18 Monaten, so enthüllte die britische Zeitung „The Guardian“ am Wochenende, läuft eine streng geheime Operation des britischen Abhördienstes „Government Communications Headquarters“ (GCHQ): „Tempora“ überwacht den weltweiten Internetverkehr, indem es das interkontinentale Netzwerk der großen Glasfaserkabel anzapft.

Die auf diese Weise abgeschöpfte gigantische Datenmenge wird dann auf bestimmte Schlüsselwörter durchsucht und kann bis zu 30 Tage gespeichert werden. Der US-Abhördienst „National Security Agency“ (NSA) hat Zugang zu diesen Daten.

Damit stellt „Tempora“, was Umfang und Art der Datenmenge angeht, das amerikanische NSA-Abhörprogramm „Prism“ weit in den Schatten. Laut „Guardian“ ist der GCHQ in der Lage, über 200 Glasfaserkabel anzuzapfen und 46 davon gleichzeitig zu überwachen. „Prism“ hat lediglich einen direkten Zugriff auf die Server – und damit auf die privaten Nutzerdaten – von neun großen Internetunternehmen wie Twitter, Google oder Facebook.

„Tempora“ dagegen bekommt alles mit: Telefongespräche, den Besuch einer Website oder den Inhalt einer E-Mail – es ist, wie der „Guardian“ schätzt, die ungefilterte Rohmasse von 600 Millionen Kommunikationsverbindungen täglich, die von GCHQ mitgelauscht wird. 300 GCHQ- und 250 NSA-Mitarbeiter sind rund um die Uhr damit beschäftigt, den Datenstrom auszuwerten.

„Tempora ist“, urteilt der amerikanische Whistleblower Edward Snowden, „das größte Progamm einer verdachtsunabhängigen Überwachung in der Geschichte der Menschheit.“ Snowden war der NSA-Mitarbeiter, der den Stein ins Rollen brachte und danach nach Hongkong flüchtete. Er hatte der „Washington Post“ und dem „Guardian“ die Informationen über das Prism-Programm zur Verfügung gestellt und auch jetzt die Dokumente über „Tempora“ geliefert.

Er ist inzwischen von den US-Behörden der Spionage angeklagt worden. Mit ihrem Antrag auf Auslieferung des früheren Geheimdienstmitarbeiters aus Hongkong bissen sie bei der Regierung dort allerdings auf Granit. Snowden reagierte darauf mit der Übergabe von Dokumenten an die Zeitung „South China Morning Post“, die belegen sollen, dass die NSA chinesische Telefonunternehmen und auch die Datenübertragungsleitungen der Tsinghua-Universität in Peking gehackt haben soll.

„Der GCHQ“, so hatte Snowden zuvor gegenüber dem „The Guardian“ unterstrichen, „ist schlimmer als die USA“. Aufgrund der enthüllten Dokumente denkt das auch der britische Abhördienst selbst. In einem internen Memo heißt es, dass der GCHQ „größere Mengen von Metadaten als die NSA produzieren kann“ und den „größten Zugang zum Internet“ unter den sogenannten „Fünf Augen“ hat. Mit diesem Begriff wird die Schnüffelallianz der Geheimdienste von USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland bezeichnet.

London hat sich in dieser Allianz die Top-Position erobert, indem die staatlichen Schnüffler einen Weg fanden, die transatlantischen Glasfaserkabel anzapfen und die gewaltigen Datenmengen speichern zu können. „Wir meistern das Internet“, jubelt der Dienst in dem Memo, „wir befinden uns in einem goldenen Zeitalter.“