Ingolstadt
Auf der Jagd nach dem Street-View-Mobil

23.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:09 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Dies ist die Geschichte einer Verfolgungsjagd. Ein Fernsehteam sucht ein Auto irgendwo in den Dörfern an der A 9, von Allershausen bis kurz vor München – wie beim Brettspiel "Scotland Yard", nur in Echt. Das Auto hat immer Vorsprung. "Vor fünf Minuten war es da", sagen die Leute, oder: "Ich hab’s vor einer Stunde g’sehn." "Jetzt schnell", sagen die Verfolger, oder: "Das ist die Stecknadel im Heuhaufen." Das gesuchte Auto ist leicht erkennbar, denn es hat ein Metallgestänge auf dem Dach und an deren Ende, in drei Metern Höhe, Kameras für den Rundumblick. Aber das Phantom bleibt verschwunden.

Das Fahrzeug gehört dem Suchmaschinenkonzern Google. Für seinen Online-Dienst "Google Street View" lässt der zur Zeit alle Straßen im Land fotografieren. Die Bilder ergeben im Internet eine virtuelle Deutschland-Ansicht. Für andere Länder ist "Street View" schon verfügbar. Dabei wird nicht gefragt, ob Hausbesitzer oder Passanten sich und ihr Eigentum überhaupt fotografieren lassen wollen.

Und mit den Straßenfotos landen auch jede Menge unangenehmer Bilder im Netz: Männer, die hinter ihre Autos pinkeln; Damen, die sich barbusig in ihrem Garten sonnen; eine junge Frau, die sich an der Hose ihres Freundes zu schaffen macht; Autos, die vor einem Bordell parken. Wegen solcher Bilder regt sich Widerstand gegen die gnadenlosen Knipser aus Amerika, die zur Zeit auch in der Region unterwegs sind.

Autor Ulrich Hagmann, Kameramann Bernd Gierstner, Tonassistent Robert Spaniol und ein Praktikant: Dieses Team wurde vom Bayerischen Fernsehen losgeschickt, um für die Sendung "Report München" das Google-Auto zu finden und dessen Fahrer stellvertretend für seinen Arbeitgeber zur Rede zu stellen. Denn der sammelt zwar gern Informationen, gibt aber nur ungern welche raus. Zum Beispiel, wo das Auto fährt. Aber der Bayerische Rundfunk weiß sich zu helfen und sendete über Bayern 3 einen Aufruf an die Radiohörer, sie sollten melden, wo sie das Kamera-Auto gesichtet haben.

In Allershausen stürzt ein Mann auf den blau-weißen BR-Bus zu. "Sind Sie die mit dem Google-Auto? Das ist vor zwei Minuten hier vorbeigefahren!" Zwei Minuten – so nah wird das Team dem Auto heute nicht mehr kommen.
 
Große Aufregung
 
Ulrich Hagmann und seine Männer klappern jedes Dorf im Umkreis ab. Sie fahren in jede Straße und stoppen jeden Passanten. Fast jeden. "Sollen wir den fragen", will Kameramann Gierstner wissen, wenn er von weitem einen Radfahrer oder einen Mann am Gartenzaun sichtet. "Der weiß nix", sagt Hagmann manchmal. Dann geht die Fahrt weiter, über Orte, die Appercha heißen, Jarzt oder Zinklmiltach. Lange Zeit keine Spur vom Google-Auto, und wenn doch, ist sie schon eineinhalb Stunden alt. Die Menschen scheinen die ganze Aufregung auch nicht so ganz zu verstehen. "Ich bin froh, wenn mich mal jemand im Internet sieht", sagt einer. Ein anderer fragt skeptisch: "Seid’s Ihr kritisch unterwegs"

Gegen Nachmittag gibt es dann endlich wieder eine heiße Spur. Hagmann hatte den richtigen Riecher, er hat zwei Damen beim Kaffeekränzchen im Biergarten gestört. Eine sagt: "Das Auto mit der Kamera? Das ist mir vor zehn Minuten in Fürholzen entgegengekommen!" Hagmann scheucht sein Team zurück in den Bus, ab nach Fürholzen, alle sind aufgeregt jetzt. Den Weg finden sie mit "Google Maps".
 
Spur verloren
 
In Fürholzen sagt ein Autofahrer, der schon länger am Straßenrand wartet, das Google-Auto sei schon ein paarmal hier vorbeigefahren, zuletzt vor fünf Minuten. Fünf Minuten! Das muss doch zu schaffen sein, denn Fürholzen hat nur vier Straßen und das Auto schafft angeblich nur fünf Kilometer in der Stunde, sonst kann es nicht alle paar Sekunden ein Foto schießen. "Langsam, langsam", beschwört Gierstner den Assistenten am Lenkrad bei jeder Abzweigung. Aber es hilft alles nichts: In Neufahrn bei Freising verliert sich die Spur. Das Google-Auto bleibt für heute unauffindbar.

Nachmittags um drei muss das Team die Suche für diesen Tag abbrechen, der nächste Termin wartet. Der Praktikant ist auf der Rückbank eingeschlafen. "Jetzt bin ich aber enttäuscht", sagt der gut gelaunte Kameramann Gierstner. Ein bisschen ernst meint er das schon.