Ingolstadt
"Goldminen für Geheimdienste"

Der frühere Europaparlamentarier Gerhard Schmid über die Schutzlosigkeit im Internet

30.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:43 Uhr

Ingolstadt (DK) Dem grassierenden Abhör-Wahnsinn der Geheimdienste ist der frühere Europaabgeordnete Gerhard Schmid bereits seit fast 15 Jahren auf der Spur. Unser Redakteur Harald Rast sprach mit dem SPD-Politiker über die Ursachen der globalen Schnüffelei und über Schutzmaßnahmen für die Privatsphäre.

Herr Schmid, warum hören uns Geheimdienste ununterbrochen ab?

Gerhard Schmid: Die Fernmeldekontrolle dient der Strafverfolgung, der Spionageabwehr und der nachrichtendienstlichen Aufklärung. Fast alle Staaten der Welt bedienen sich dieser Methoden. Das Abhören erfolgt natürlich ohne Wissen der Betroffenen.

 

Gab es dank der Abhörmaßnahmen schon Erfolge?

Schmid: Ja. Es sind mehrere Anführer der Terrororganisation El Kaida über ihre Telekommunikation gefasst worden. Auch Osama bin Laden hat man so geschnappt. Er hat zwar nicht selbst telefoniert, aber einer seiner Helfer. Über diese Person wurden die Amerikaner auf das Haus in Pakistan aufmerksam, wo sich Bin Laden versteckt hielt.

 

Bin Laden war die treibende Kraft hinter den Terrorattacken von New York und Washington. Ist 9/11 der Auslöser für den Abhör-Wahnsinn der USA?

Schmid: Technisch wäre vieles schon vor dem Jahr 2001 möglich gewesen. Aber man scheute damals noch die Kosten. Die Terroranschläge von 9/11 waren dann der Auslöser, die El Kaida und die Dschihadisten weltweit ins Visier zu nehmen.

 

Sind dieser ungeheure Aufwand und die Verletzung der Privatsphäre von Milliarden Menschen zu rechtfertigen, um Anschläge zu verhindern?

Schmid: Diese Debatte wird so intensiv nur in Deutschland geführt. Die USA verfolgen noch ein zweites Ziel: Sie wollen verhindern, dass muslimische Staaten zu Theokratien werden. Nach Überzeugung der Amerikaner muss der Westen die Dschihadisten bei ihrem Vorhaben stoppen, Kalifate einzuführen.

 

Gibt es dabei keine Alternative zur totalen Überwachung?

Schmid: Bis vor 20 Jahren war der islamistische Terrorismus auf die Nationalstaaten begrenzt. Es war damals leicht, Agenten einzuschleusen. Heute haben wir einen globalisierten Terrorismus. Die Befehlszentralen befinden sich irgendwo. Die Terroristen stammen teilweise aus Ländern ohne staatliche Strukturen, wie Somalia oder Mali. So bleibt nur die Überwachung der internationalen Kommunikation. Andere Werkzeuge greifen nicht mehr.

 

Sind Sie selbst ein Befürworter dieser weltweiten strategischen Fernmeldekontrolle?

Schmid: Natürlich gibt es moralische Gründe, die dagegen sprechen. Trotzdem halte ich Abhörmaßnahmen aus sicherheitspolitischen Gründen für unverzichtbar. Das ist oft die einzige Chance, um Unheil zu verhindern.

 

Könnte wenigstens Deutschland aussteigen?

Schmid: Auch eine deutsche Regierung wird auf die Überwachung der Telekommunikation nie ganz verzichten. Dafür gäbe es im Bundestag keine Mehrheit.

 

Wie können wir uns vor der Schnüffelei durch ausländische Geheimdienste schützen?

Schmid: Wir haben auf die Dienste anderer Länder keinen Einfluss. Leider müssen wir damit leben, dass uns Amerikaner, Engländer, Chinesen und Russen zuhören. Auf dem internationalen Daten-Highway sind wir schutzlos. Ein Nachrichtendienst macht alles, was er sich finanziell leisten kann, was technisch machbar ist, was das nationale Gesetz erlaubt und was im Interesse seines Landes ist. Solange das nationale Recht die Tätigkeit der eigenen Geheimdienste nicht beschränkt, gibt es keinen Schutz der Privatsphäre.

 

Wäre die Schaffung eines entsprechenden internationalen Rechts möglich?

Schmid: Ein internationales Abkommen müsste einstimmig beschlossen werden. Das werden die Regierungen niemals machen.

 

Sind wenigstens die Amerikaner vor den Datensammlern im eigenen Land sicher?

Schmid: Die amerikanische Verfassung schützt die private Kommunikation von US-Amerikanern und Ausländern, die in den Vereinigten Staaten leben. Darauf achtet auch der Kongress. Ausnahmen muss ein Richter genehmigen. Alle anderen Menschen auf dieser Welt sind durch die US-Verfassung nicht geschützt. Es gibt zudem keine Einschränkung der Suchstrategien der NSA durch ein US-Gesetz.

 

Kennt dieses globale Abhörsystem keine Grenzen?

Schmid: Bei der strategischen Fernmeldekontrolle werden alle zugänglichen Kommunikationen abgegriffen, gefiltert und die aussortierten Kommunikationen ausgewertet. Das System arbeitet wie ein Staubsauger. Seine Grenzen ergeben sich nur aus der Rechnergeschwindigkeit, der begrenzten Zahl von verarbeitbaren Suchbegriffen und vor allem aus der begrenzten personellen Kapazität der Auswertung.

 

Verraten Sie uns doch einige Suchbegriffe.

Schmid: Die darf ich nicht nennen. Aber man braucht nicht viel Fantasie, um auf Suchbegriffe zu kommen.

 

Angenommen, alle Leute würden in jedem Mail, SMS und Telefonat Wörter wie „El Kaida“, „Bombe“ oder „Terror“ platzieren. Würde das die Arbeit der Geheimdienste nicht komplizierter machen?

Schmid: Das würde ihnen die Auswertung erschweren. Allerdings verfügen die Dienste über leistungsfähige Spamfilter. Aber irgendwann muss natürlich ein Mensch die Daten bewerten.

Wie viel schafft ein Geheimdienst-Mitarbeiter am Tag?

Schmid: Beim Bundesnachrichtendienst geht man von täglich 50 Kommunikationen pro Auswerter aus.

 

Lässt sich die gigantische globale Kommunikation per Telefon überhaupt geheimdienstlich nutzen?

Schmid: Früher war das schwieriger. Es gab nur eine mit großen Fehlern behaftete automatische Spracherkennung. Aber die Leistungsfähigkeit der Großrechner hat erheblich zugenommen. Damit hat sich auch das Erkennen von gesprochenen Worten verbessert. Zudem können gewaltige Datenmengen gespeichert werden und die internationale Kommunikation hat sich von Satelliten auf Unterwasser-Glasfaserkabel verlagert, die leicht angezapft werden können.

Inwieweit helfen den Geheimdiensten soziale Netzwerke wie Facebook?

Schmid: Das sind Datengoldminen, sowohl für die Werbewirtschaft als auch für die Dienste. Weltweit hat sich eine ganze Generation von der Internet-Euphorie das Hirn auswaschen lassen und stellt freiwillig Unmengen an Daten über sich selbst und die Beziehungen mit anderen ins Netz. Das ist von den Geheimdiensten mit Begeisterung aufgenommen worden. Die wichtigsten Server von Facebook, Google, Twitter und Skype befinden sich in den USA. Ein Gesetz zwingt diese Unternehmen sogar zur Zusammenarbeit mit der NSA.

 

Sollten die Menschen im Internet vorsichtiger sein?

Schmid: Unbedingt. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Die Leute müssen sich überlegen, welche Daten sie preisgeben und wohin sie diese schicken. Ich rate dringend zur Verschlüsselung von Mails durch entsprechende Provider. Aber ein Restrisiko bleibt.