Berlin
Brüssel droht Deutschland mit Strafe

Koalition hat Frist für Vorratsdatenspeicherung verstreichen lassen – und streitet weiter

27.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:00 Uhr

Berlin (DK) „Die EU-Kommisson wird sicherstellen, dass der Bruch des EU-Rechts ein Ende hat“, warnte ein Sprecher der Brüsseler Behörde gestern. Adressat: Die Bundesregierung in Berlin. Streitpunkt: Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations- und Internetdaten.

Gestern lief die – bereits verlängerte – Frist für Deutschland ab, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Millionen-Strafzahlungen können die Folge sein.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lässt das scheinbar kalt: „Es drohen nicht in den nächsten Wochen Strafzahlungen, sondern die drohen erst dann, wenn wir vom Europäischen Gerichtshof wirklich verurteilt sind“, erklärte die Liberale gestern. „Die Verweigerungshaltung der Justizministerin darf nicht das letzte Wort sein, sonst droht ein echter Konflikt in der Koalition“, warnte hingegen Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.

Der Koalitionsstreit um die Vorratsdatenspeicherung ist seit 2010 ungelöst. Und die Justizministerin schrecken auch Brüsseler Strafandrohungen nicht. „Wir haben über 50 Vertragsverletzungsverfahren, die anhängig sind. Nicht in meinem Bereich, sondern in vielen anderen Bereichen, in unionsgeführten Häusern der Bundesregierung“, erklärte sie gestern. Eine zu weitgehende Speicherung von Handy- und Internetverbindungen erscheint der FDP-Vorzeigefrau als zu weitgehender Eingriff in die Grundrechte, der Union hingegen als probates Mittel zur Verbrechensbekämpfung. Die Liberalen wollen sich als Bürgerrechtspartei profilieren, die Union pocht – erst recht nach dem Fall der Zwickauer Zelle der Rechtsterroristen – auf eine Regelung, die den Zugriff auf die Daten ermöglicht.

Die Justizministerin hat ein „Quick-Freeze“-Verfahren angeboten, bei dem die Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf Daten erhalten, wenn Anhaltspunkte einer Straftat vorliegen. Gerade im Fall der Zwickauer Zelle, so argumentiert die Union, wäre das nutzlos gewesen: Als die Anhaltspunkte für die Straftaten des Mörder-Trios vorlagen, hatten sich zwei Mitglieder umgebracht. Jetzt seien keine Daten mehr zu sichern, sondern benötigt würden die Verbindungsdaten aus der Vergangenheit – wobei diverse Telefongesellschaften mitteilten, diese seien bereits gelöscht.

Eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im März 2010 die geltende Regelung als verfassungswidrig eingestuft und strenge Auflagen für die Vorratsdatenspeicherung gefordert hatte. Doch Union und FDP können sich auf keine Neuregelung einigen. Die CSU-Landesgruppe will bei ihrer Klausurtagung zum Jahresbeginn in Wildbad Kreuth die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten für sechs Monate fordern. Die Justizministerin verweist darauf, dass die EU-Richtlinie ohnehin überarbeitet werde – warum sie also schon umsetzen? Alles Ausflüchte, hält die Union dagegen.