Berlin
560 Autoren kämpfen gegen Massenausspähung

Internationaler Aufruf: Juli Zeh und andere Intellektuelle fordern ein Ende der Datenspionage

10.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:19 Uhr
Eine Gruppe von Schriftstellern rund um Juli Zeh (Mitte) protestierte bereits im September vor dem Kanzleramt in Berlin gegen Datenspionage. Nach der Unterschriftenaktion folgte nun ein öffentlicher Aufruf. −Foto: Kay Nietfeld (dpa)

Berlin (DK) Die Meldungen über geheimdienstliche Massenausspähung reißen nicht ab. Zahlreiche Intellektuelle appellieren an die Politik, sich für den Schutz der Privatsphäre einzusetzen. Sie sehen die Demokratie in Gefahr.

Sie sind enttäuscht von der Kanzlerin. Vor einigen Wochen durften die Autorin Juli Zeh und Kollegen einen offenen Brief mit Unterschriften gegen die Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA gerade einmal bei der stellvertretenden Regierungssprecherin abliefern. „Es war kein Gesprächstermin erwünscht“, sagt die 39-Jährige. Weil man in Kanzleramt und Bundesregierung angesichts der Übergriffe des US-Geheimdienstes auf diplomatische Leisetreterei zu setzen schien, wuchs bei der engagierten Autorin und ihren Mitstreitern das Gefühl, der Protest müsse größer aufgezogen und internationalisiert werden. Gestern, am internationalen Tag der Menschenrechte, präsentierten Zeh, Kollege Ilija Trojanow und weitere Schriftsteller in Berlin dann einen Aufruf, den 562 Schriftsteller weltweit, darunter fünf Nobelpreisträger, unterzeichnet haben: „Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter“ heißt das kurze Manifest, das global in mehr als 30 Zeitungen zeitgleich veröffentlicht wurde – nicht allerdings in den Vereinigten Staaten.

Die Unterzeichner-Liste liest sich wie das Who’s Who der zeitgenössischen Weltliteratur: Die Nobelpreisträger Günter Grass, Elfriede Jelinek, J.M. Coetzee, Thomas Tranströmer und Orhan Pamuk finden sich neben Henning Mankell, Paul Auster, Umberto Eco, Don DeLillo oder Daniel Kehlmann. Die Autoren eint die Empörung über die Ausspähung von Bürgern. „Alle Menschen haben das Recht, in ihren Gedanken und Privaträumen, in ihren Briefen und Gesprächen frei und unbeobachtet zu bleiben“, heißt es in dem Appell.

Dieses existenzielle Menschenrecht sei jedoch inzwischen „null und nichtig“, weil Staaten und Konzerne die technologischen Entwicklungen zum Zwecke der Überwachung massiv missbrauchen würden. „Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei; und eine Gesellschaft unter ständiger Beobachtung ist keine Demokratie mehr“, kritisieren die Unterzeichner und fordern das Recht des Bürgers, über die Verwendung seiner Daten mitzuentscheiden.

In „Wildwest-Manier“ würde mit den Daten der Bürger umgegangen, kritisierte Schriftstellerin Eva Menasse, und Kollege Ilija Trojanow – ihm war unlängst die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert worden – sprach von einem „grundlegenden Angriff gegen unsere Freiheit“. Er ist sich sicher: „Widerstand kann nur global zum Erfolg führen.“ Eva Menasse kritisierte: „Bis jetzt fehlt der politische Wille, vor allem in Deutschland.“ Angela Merkels (CDU) Regierungsstil bestehe aus Abwarten. Sie handle erst, wenn es unvermeidbar sei. Sie habe in der NSA-Affäre kaum gehandelt, „und nicht mal dann richtig, wenn es um ihr eigenes Handy geht“. Juli Zeh erinnerte daran, dass die Kanzlerin nach der atomaren Katastrophe von Fukushima den Atomausstieg vollzogen habe. „Wenn es uns gelingt, ein digitales Fukushima zu erzeugen, wird Frau Merkel unsere erste Datenschützerin im Land“, glaubt sie.

Zwar zählen viele Schriftsteller aus den USA zu den Unterzeichnern, doch wurde der Aufruf – den die übrigen Zeitungen kostenlos veröffentlichten – dort nicht gedruckt. „Washington Post“ und „New York Times“ lehnten ab. Zwischen den Zeilen, so Ilija Trojanow, habe man ihnen aber auch zu verstehen gegeben, dass die Zeitungen derzeit sehr unter Druck stünden: „Man kann darüber spekulieren, was das bedeutet.“

„Dieser Appell kommt zur richtigen Zeit“, lobte Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Wir brauchen ein internationales Abkommen zum Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter.“ Darin müsse ein globales Grundrecht auf Datenschutz festgeschrieben werden – „unabhängig von Staatsangehörigkeit und Ort der jeweiligen Datenverarbeitung“. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel fand lobende Worte für den Aufruf, was laut „Spiegel Online“ hämische Kommentare im Internet nach sich zog. Schließlich hatte sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen gerade erst mit der Union auf die Wiedereinführung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung geeinigt.