Berlin
"Massiver Versuch der Einschüchterung"

Netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl erklärt, warum gegen ihn und nicht gegen die NSA ermittelt wird

31.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr
Netzpolitik.org-Betreiber Markus Beckedahl bei einem Vortrag auf der re:publica in Berlin. −Foto: Tom Webel

Berlin (DK) Markus Beckedahl steht im Verdacht, ein Landesverräter zu sein. Im Interview erklärt der Gründer und Journalist des Blogs netzpolitik.org, warum er die Ermittlungen für einen Angriff auf die Pressefreiheit hält.

Herr Beckedahl, der Generalbundesanwalt ermittelt gegen Sie. Warum?

Markus Beckedahl: Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen uns wegen des Verdachts auf Landesverrat. Wir haben vor einigen Monaten aufgedeckt, dass der Verfassungsschutz seine Kapazitäten zur Internetüberwachung massiv ausweitet – mit mehr Personal und automatisierter Rasterfahndung über soziale Netzwerke. Dazu haben wir Auszüge aus dem Haushaltsplan des Verfassungsschutzes zur Dokumentation online ins Netz gestellt. Und plötzlich gelten wir als potenzielle Landesverräter.

 

Ihnen wird vorgeworfen, mit der Veröffentlichung der internen Unterlagen auch Geheimnisverrat begangen zu haben.

Beckedahl: Es gibt verschiedene Geheim-Einstufungen. Bei dem Dokument, das wir veröffentlicht haben, handelt es sich nicht um ein besonderes Staatsgeheimnis. Sonst wäre es auch als solches eingestuft worden.

 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Strafanzeige gegen Sie erstattet, die dann zu der Aufnahme der Ermittlungen geführt hat. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Beckedahl: Hier handelt es sich um einen massiven Versuch der Einschüchterung durch Sicherheitsbehörden, der von der Bundesregierung gedeckt wird. Das ist ein Angriff auf unsere Arbeit und die Pressefreiheit. Hier sollen alle Journalisten, die dazu beitragen, den größten Überwachungsskandal in der Geschichte der Menschheit aufzudecken, gewarnt und mundtot gemacht werden. Die Ermittlungen richten sich nicht nur gegen uns, sondern auch gegen Unbekannt. Offenbar soll hier ein Exempel statuiert werden und nicht nur wir, sondern auch alle Quellen in den Behörden im politischen Berlin gewarnt und eingeschüchtert werden. Es ist schon auffällig, dass zur Einschüchterung gegen uns ermittelt wird, aber keine Ermittlungen gegen die NSA oder andere Stellen aufgenommen werden, obwohl es erdrückende Indizien für die Überwachung bis hin zum Handy der Bundeskanzlerin gibt. Im Fall des NSA-Skandals kann der Generalbundesanwalt keinerlei Anfangsverdacht erkennen. Das ist schon bemerkenswert.

 

Nach dem ersten Sturm der Entrüstung hat der Generalbundesanwalt angekündigt, die Ermittlungen erst einmal ruhen zu lassen. Heißt das Entwarnung?

Beckedahl: Es gibt keinen Fortschritt gegenüber gestern. Erst mal Ermittlungen einleiten und dann temporär ruhen lassen – das entspannt uns nicht wirklich. Die Botschaft ist ja, dass wir nur vorerst nicht mit Exekutiv-Maßnahmen rechnen müssen. Wer weiß, wie es weitergeht, wenn die mediale Aufregung vorbei ist.

 

Wie erleben Sie die Reaktionen und das Echo auf Ihren Fall?

Beckedahl: Wir sind total überwältigt über so viel Solidarität. Unsere Server sind immer wieder zusammengebrochen. Es gibt auch viele Angebote der finanziellen Unterstützung. Darauf sind wir als spendenfinanzierte Redaktion auch angewiesen. Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommen sollte und wir guten und teuren Rechtsbeistand brauchen, könnte das im Extremfall unseren persönlichen Bankrott bedeuten.

 

Das Gespräch führte

Andreas Herholz.