Berlin
Eine Frage der Kontrolle

Die re:publica in Berlin diskutiert, ob das Internet unserer Freiheit dient oder vermehrt zur Überwachung missbraucht wird

06.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:20 Uhr
Blick von oben: Der Astronaut Alexander Gerst wirbt auf der re:publica für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Erde und für ein Engagement der Besucher in Technik und Wissenschaft für die Gesellschaft von morgen. −Foto: Tom Webel

Berlin (DK) „Wir haben Politiker, die nur vor sich hinstammeln.“ Frank Rieger lässt seinen Worten ein paar Augenblicke Zeit zur Entfaltung. „Wir als Gesellschaft müssen uns daher klar werden, wie wir leben wollen.

Profit kann niemals wichtiger sein als Menschenwürde.“ Rieger ist Autor, Aktivist und Sprecher des Chaos Computer Clubs. Er weiß, wovon er redet, wenn er auf der re:publica in Berlin feststellt, dass Technik sowohl zur Entfaltung von Kreativität und Freiheit als auch für Unterdrückung und Kontrolle genutzt werden kann. Ihre Premiere feierte die re:publica 2007 als Blogger-Konferenz mit 700 Teilnehmern. Mit mehr als 6000 Teilnehmern, über 800 Sprechern und 450 Stunden Programm auf 17 Bühnen ist sie mittlerweile eine der größten Konferenzen für gesellschaftliche Fragen rund um das Thema Internet und Technik in Europa. Die re:publica 2015 findet im Messe- und Veranstaltungszentrum „Station“ in Berlin statt, einem ehemaligen Postbahnhof mit riesigen Hallen aus Backstein und eisernen Rundbögen.

Alle Besucher eint das Interesse an einer Zukunft, in der die Gesellschaft Technik als Werkzeug begreift und sich nicht von ihr – oder ihren Besitzern – unterjochen lässt. Ein wichtiger Punkt ist für Rieger die Frage, wie wir mit den Daten umgehen, die vor allem von Unternehmen wie Google gesammelt werden. „Daten sind Macht. Macht diskriminiert“, sagt Rieger. „Wir brauchen eine große, positive Vision. Die muss auf den Grundrechten beruhen.“ Von diesen ausgehend, müsse man Prinzipien für das digitale Zeitalter erarbeiten.

Mit einer intimen Blogger-Veranstaltung von Freaks für Freaks hat die re:publica nichts mehr zu tun. „Wir nennen uns jetzt auch Gesellschaftskonferenz“, sagt Verena Dauerer, eine der Pressesprecherinnen der Veranstaltung. „Hier sind zum Beispiel Leute vom Goethe-Institut. Die haben mir erzählt, dass ihre älteren Kollegen davon ausgegangen sind, hier nur 20-jährige Youtuber anzutreffen. Aber so ist es ja nicht. Das sind ja Themen, die alle betreffen.“ In der großen Ausstellungshalle der re:publica ist es schwülwarm. An einem Ende stehen mit grauem Teppich bezogene Holzkuben. Darauf sitzen, liegen und lümmeln Besucher. Hier werden Ideen geboren und Projekte auf den Weg gebracht.

Ein elementares Thema ist der BND-Skandal. Geheimdienste hätten schon immer die Tendenz gehabt, ein Eigenleben zu entwickeln, betont Marcel Dickow, Politologe in Diensten der Stiftung Wissenschaft und Politik. Fakt ist: Selbst viele Spitzenpolitiker wissen nicht, was ihr eigener Geheimdienst sammelt. Die Befürchtung ist: Je mehr der Geheimdienst über das Privatleben der Politiker selbst weiß, desto eingeschränkter sind sie in ihrem Handeln. Klar ist für Dickow: Wenn der Bundesnachrichtendienst – wie jüngst aufgedeckt – der US-amerikanischen NSA hilft, Länder wie Frankreich auszuspionieren, hintertreibt er die deutsche Außenpolitik, die sich um ein gutes Verhältnis zu den französischen Nachbarn bemüht.

Einer der Stargäste auf der re:publica ist der Astronaut Alexander Gerst. Er lebte und arbeitete von Mai bis November vergangenen Jahres auf der Internationalen Raumstation ISS. „Von dort oben sieht man, wie wichtig die Erde für das Universum ist: gar nicht“, berichtet er. Man sehe, wie zerbrechlich die Erde sei, wie dünn die Atmosphäre, die alles sei zwischen diesem Planeten und dem All. Gerst beendet seine Rede im größten und dennoch aus allen Nähten platzenden re:publica-Saal mit einem Aufruf: Er selber habe nie daran geglaubt, eines Tages Astronaut zu sein. „Deswegen sage ich euch: Lasst euch so einen Traum nicht ausreden. Probiert es einfach.“ Denn die Experimente im All seien unerlässlich für den wissenschaftlichen Fortschritt auf der Erde.

Einen der auffälligsten Stände hat F-Secure, ein Anbieter von Computer-Sicherheitslösungen. Am Eingang zum Gelände haben die Finnen einen gelben Container aufgestellt, in dem ein Wohnzimmer eingerichtet ist. In den Container wurden Löcher gebohrt, durch die man in diesen privaten Raum blicken könnte – wären da nicht Klappen, die die Bewohner vor die Öffnungen schieben können. „Dieser Container ist ein Sinnbild für Privatsphäre“, erläutert Berk Kutsal. Die Klappen stünden für die neueste F-Secure-Sicherheitslösung. Die ist natürlich unwirksam im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung. Doch auch den Kampf gegen diese anlasslose Massenüberwachung hat sich F-Secure auf die Fahne geschrieben. „Wir setzen auch ein politisches Statement. Wir sind gegen Massenüberwachung“, sagt Kutsal.

Dieses große Rad dreht auch der Programmierer Aral Balkan. Ruhelos tigert er über die Bühne. Mit seinem breiten Lächeln und der schwarzen Kleidung könnte er auch als Chefentwickler bei Apple durchgehen. Doch was er sagt, dürfte großen IT-Firmen nicht gefallen. Balkan zerlegt die Geschäftsmodelle von Google und Konsorten nach Strich und Faden. Diese basierten einzig und allein auf den Daten der Nutzer. Würden diese Daten kombiniert, entstünden Profile. Kurzgefasst: Google weiß vor dem eigenen Ehepartner, ob man eine Affäre hat. Das Geschäftsmodell bestehe darin, alles von einem Menschen – außer seinem Körper – zu verkaufen, so Balkan. Daher sei es nichts anderes als digitaler Imperialismus, wenn Google versuche, das Internet in Entwicklungsländer zu bringen. „Denn es ist egal, was für Geräte die Menschen dort nutzen – Google hat ihre Daten, wenn sie über Google ins Internet gehen.“

„Es geht darum, die Daten zu besitzen und zu kontrollieren“, betont der Programmierer. Privatsphäre bedeute, selbst zu entscheiden, was man mit wem teilen wolle. Balkans Vortrag kulminiert in einem Appell an Softwareentwickler, unabhängige Technologie zu entwickeln, die auf ethischen Prinzipien beruhe. Die Menschen müssten die Kontrolle über ihre Daten haben – nicht Konzerne oder die mit diesen kooperierenden Geheimdienste. „Wir können Produkte erschaffen, die Menschenrechte, grundlegende Freiheiten und Demokratie schützen.“

In diesem Moment fühlt es sich an, als ginge ein Ruck durch den riesigen Saal. Als würden alle etwas näher zusammenrücken. Hipsterbärte und Firmenstände hin oder her: Die re:publica hat mehr denn je das Potenzial, der Funke zu sein, der ein Feuer entzündet. Auch und gerade mitten in der Gesellschaft.