Lernschwierigkeiten, eine Behinderung, ein Migrationshintergrund – diese und noch viele andere Gründe können dazu führen, dass Menschen die Sprache, die im Journalismus alltäglich verwendet wird, gar nicht oder nur schwer lesen können. Ihnen kann Leichte Sprache helfen.
Über dieses Konzept und die verwandte Einfachen Sprache hat Professorin Friederike Herrmann im Zuge eines Workshops beim Forum Lokaljournalismus gesprochen.
Herrmann ist gelernte Journalistin und seit 2012 Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie forscht zu Themen der Verständlichkeit im Journalismus und leitet ein Forschungsprojekt zu Leichter und Einfacher Sprache im Journalismus, das von der Otto Brenner Stiftung gefördert wird. Beim Forum Lokaljournalismus hat sie im Workshop „Nachrichten für Alle! Mit leichter und einfacher Sprache mehr Leser erreichen“ zu dem Thema gesprochen.
Frau Herrmann, was ist denn eigentlich Leichte und Einfache Sprache? Gibt es da einen Unterschied?
Friederike Herrmann: Das Konzept der Leichten Sprache wurde aus linguistischer Perspektive entwickelt, um Leuten mit eingeschränkter Literalität zu helfen. Dazu gehören zum Beispiel Menschen, die Analphabeten sind, Menschen, die aus Gründen von Behinderung oder schulischen Schwierigkeiten kein vollständiges Textverstehen haben und auch Menschen mit Migrationshintergrund. Insgesamt machen Menschen mit eingeschränkter Literalität ungefähr zwölf Prozent der Bevölkerung aus. Das Konzept für Leichte Sprache gibt Regeln aus, wie Texte besser verstanden werden können. Das wurde bislang vor allem in der Kommunikation von Behörden genutzt.
Und Einfache Sprache?
Herrmann: Einfache Sprache ähnelt dem, was wir im Journalismus mit Verständlichkeit meinen. Die Zielgruppe dafür sind nicht die erwähnten zwölf Prozent, aber es ist doch eine Erleichterung für viele Leserinnen und Leser. Die Sprache in den Medien ist oft viel zu komplex. Eine Studie in Hamburg hat schon vor längerer Zeit gezeigt, dass 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung etwa auf dem Niveau von Viertklässlern lesen und schreiben. An diesen Menschen arbeiten viele Medien vorbei und das ist ein Problem für die Demokratie.
Warum ist es dann wichtig, dass Journalismus in Leichter oder in Einfacher Sprache funktioniert?
Herrmann: In Leichter Sprache zu schreiben ist wichtig, weil der Journalismus eine Integrationsfunktion hat. Viele Privilegien, die der Journalismus hat, resultieren daraus, dass er die demokratische Gesellschaft integriert und eine gemeinsame Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Wenn mindestens zwölf Prozent der Bevölkerung gar nicht durch die Angebote erreicht werden, ist das ein Problem. Die öffentlich-rechtlichen Medien haben diesen Auftrag in besonderer Weise. Darum machen sie am häufigsten Versuche, diesen Teil der Bevölkerung zu integrieren. Aber es ist auch insgesamt eine Aufgabe des Journalismus, Öffentlichkeit herzustellen und damit auch Inklusion zu schaffen. Außerdem ist das für Journalismus deshalb interessant, weil zwölf Prozent eine erhebliche Leserschaft sind, die man vielleicht auch nicht vernachlässigen sollte. Und da es noch einen weit größeren Anteil gibt, der auf eine einfachere Sprache angewiesen ist, als im Journalismus üblich ist, kann es auch aus ökonomischer Hinsicht durchaus im Interesse des Journalismus sein.
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Jetzt geht es im Journalismus manchmal auch um sehr komplexe Themen. Wie bringt man das denn zusammen, gibt es da Möglichkeiten oder muss man dann bewusst die Themen auswählen, die man in Einfacher oder in Leichter Sprache bearbeitet?
Herrmann: Das Ziel unseres Forschungsprojektes ist es, diese Frage zu beantworten. Wir wollen herausarbeiten, was aus demokratietheoretischer Sicht so relevant ist, dass der Journalismus darüber berichten muss. Wir sagen nicht: „Das Thema ist zu komplex, also lassen wir es weg“, sondern wir fragen: „Was müssen alle Bürgerinnen und Bürger erfahren?“ Vielleicht müssen die Themen in reduzierter und vereinfachter Form aufgearbeitet werden, aber die Zielgruppe muss es erfahren. Wir haben uns jetzt schon die ersten Interviews, die wir geführt haben, angeschaut. Da zeigt sich beispielsweise, dass der Bezug zu Menschen sehr wichtig ist. Wenn Sie in einem Text Büroarbeit schreiben, dann kommt es nicht an. Wenn sie aber vom Büroarbeiter oder der Büroarbeiterin sprechen, dann ist die Aufmerksamkeit oder auch das Verstehen eher da. Bilder, die verwendet werden, brauchen eine eindeutige Aussage, dann können sie auch sehr gut an einen Artikel heranführen.
Gibt es so etwas wie: Fünf Tipps für Journalistinnen und Journalisten, die sagen, sie möchten einfacheren Journalismus machen?
Herrmann: Ich halte nichts von diesen Rezepten - Journalismus ist nicht wie Kuchenbacken. Es gibt die traditionellen Hinweise für verständliches Schreiben, die immer schon im Journalismus galten: Schachtelsätze sind schwer verständlich, auch in der Standardsprache. Da gibt es eine ganze Menge Regeln aus der Verständlichkeitsforschung, nach denen sich Journalisten richten können. Das ist aber ein Unterschied zu dem, was Leichte Sprache meint. Leichte Sprache bedarf einer etwas eingehenderen Beschäftigung als die fünf heißen Tipps. Ich habe eben zwei genannt, die sicher wichtig sind, man sagt zum Beispiel auch in der Leichten Sprache darf nur ein Satz pro Zeile stehen. Aber wer das machen will, muss sich damit eingehend beschäftigen. Das ist auch das Ziel unseres Forschungsprojektes. Wir sehen, dass die Redaktionen oft guten Willens sind, aber sie scheitern, weil sie die Ressourcen dafür nicht haben und es auch keine Handhabe gibt, wie das eigentlich aussehen soll. Wir können nicht das Kochrezept liefern, aber wir machen für die Otto Brenner Stiftung, die uns fördert, ein Heft, in dem wir den Transfer von der Wissenschaft in die Praxis leisten wollen. Aber ich finde es sehr wichtig, wenn wir von Leichter und Einfacher Sprache sprechen, sich klarzumachen, dass es verschiedene Gruppen gibt, die auch nur auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden können. Wenn Sie einfach ein bisschen verständlicher schreiben, erreichen Sie nicht Menschen, die wirklich geringe Literarität haben oder ein eingeschränktes Leseverständnis, diese zwölf Prozent. Das sagen die Betroffenen inzwischen auch sehr selbstbewusst. Auf der Tagung hat Marco Kölln als Betroffener gesprochen. Es war erschütternd, als die Teilnehmer im Workshop Marco fragten: „Ja, wenn du jetzt sagst, ein normaler Veranstaltungskalender ist schwer zu lesen, wie bekommst du denn dann Infos von Veranstaltungen?“, und er schlicht und einfach sagte: „Ich bekomme sie nicht.“
Gibt es denn gar keine journalistischen Angebote in Leichter oder Einfacher Sprache?
Herrmann: Es gibt Angebote, vor allem bei öffentlich-rechtlichen Medien. Auf unserer Website lesj.ku.de haben wir eine Auflistung der Angebote, die es schon gibt und auch der eingestellten Angebote. Was aber fehlt, ist ein umfassendes Nachrichtenangebot. Der Anspruch muss heißen: „Hey, wir leben in einer Demokratie, alle sollen teilhaben können, alle sollen partizipieren.“ Dafür braucht es ein Minimum an Informationen und die werden noch nicht flächendeckend bereitgestellt.
Gibt es denn schon Ressourcen, mit denen Journalisten und Journalistinnen sich über Leichte und Einfache Sprache informieren können? Oder sind Sie da jetzt wirklich mit den Studierenden die ersten?
Herrmann: Es gibt kaum wissenschaftliche Aufsätze. Wir sind die ersten, die ein größeres Forschungsprojekt machen. Wir wollen journalistische Angebote, die sich der Leichten oder Einfachen Sprache widmen, unterstützen, indem wir Wege zeigen, wie man das umsetzen kann und dafür auch wissenschaftliche Studien machen. Die Studien sollen uns zeigen, was das Publikum nutzt. Welche Plattformen nutzt unsere Zielgruppe oder welche Medien? Und was erreicht die unterschiedlichen Zielgruppen? Das Publikum ist nämlich keine homogene Gruppe. Es ist ein Unterschied, ob ich jemanden mit Demenz erreichen will oder jemanden, der gerade erst Deutsch lernt.
Das Heft, das Sie für die Otto Brenner Stiftung entwerfen – wird das ein Handbuch, um Journalistinnen und Journalisten zu zeigen, wie sie den Journalismus einfacher gestalten können?
Herrmann: So etwas in der Art soll es werden. Wir versuchen, sowohl die Relevanzfrage anzusprechen, als auch die Frage zu klären, wie die Inhalte, die Sprache, die Typografie gestaltet sein müssen, um dieses Publikum besser zu erreichen. Wir wollen zum Beispiel auch zeigen, wie KI dabei unterstützen kann, ein Angebot barrierefreier zu machen und auch Praktiker zu Wort kommen lassen. Es gibt auch jetzt schon Workshops zu Einfacher und Leichter Sprache, die sind aber nicht spezifisch auf den Journalismus zugeschnitten. Solche Workshops wollen wir noch weiterentwickeln. Gar nicht, weil wir die selber unbedingt anbieten wollen, sondern damit sie genutzt werden können, um Journalisten in diesem Bereich besser auszubilden.
Damit, ein paar einfachere Wörter zu verwenden, ist es also nicht getan?
Herrmann: Genau, das ist ein größeres Konzept. Barrierefrei ist das richtige Wort, und zwar barrierefrei auch im inhaltlichen und typografischen Sinne und so weiter. Ich meine, es ist immer gut, im Journalismus verständliche Sprache zu nutzen, aber damit ist es nicht getan.
Das Interview führte Amelie Mühlhausen, KU Eichstätt-Ingolstadt.
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