München
Taufe unter Karussellpferden

Gut 500 Besucher nehmen auf dem Oktoberfest dem traditionellen Gottesdienst im Wiesn-Zelt teil

21.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr
Hatte bei ihrer Taufe viel zu gucken: die zehn Monate alte Estelle Gisela im bunten Marstall-Zelt auf dem Arm von Pater Paul Schäfersküpper. Die Eltern der Kleinen betreiben auf der Wiesn seit Jahren den Stand „Fruchtige Köstlichkeiten“. −Foto: Stäbler

München (DK) Alle Augen im Marstall-Festzelt richten sich auf Estelle Gisela Kleuser-Kübler - doch das stört das zehn Monate alte Mädchen nicht im Geringsten.

Seelenruhig liegt die Kleine im Arm ihrer Mama und schaut abwechselnd zu dem Mann in Weiß vor ihr und hinauf zu den Karussellpferden, die über der achteckigen Musikbühne an der Decke baumeln. Sogar als ihr Gegenüber, Pater Paul Schäfersküpper, der kleinen Estelle etwas Weihwasser über den Kopf kippt, hört man keinen Mucks – das Festzelt, die vielen Menschen und der typische Wiesn-Duft wirken offenbar beruhigend auf das Mädchen.

Kein Wunder, schließlich ist Estelle ein echtes Oktoberfest-Kind; ihre Eltern Jennifer Kleuser und Eugen Kübler betreiben seit Jahren den Verkaufsstand „Fruchtige Köstlichkeiten“ auf dem Oktoberfest. Und hier ist die kleine Estelle nun auch getauft worden – beim traditionellen Wiesn-Gottesdienst, der 1956 erstmals gefeiert wurde und stets am Donnerstag der ersten Festwoche stattfindet, früher im Hippodrom und inzwischen im Marstall-Festzelt.

Der Gottesdienst ist eine der raren besinnlichen Stunden inmitten des Wiesn-Trubels. Es gibt kein Gedränge, keine Bedienungen eilen umher, kein Bier steht auf den Tischen. Stattdessen lauschen gut 500 Besucher – darunter etliche Schausteller und Wiesn-Wirte – andächtig den Worten der Geistlichkeit. Nur für einen kurzen Moment bricht kollektive Heiterkeit im Zelt aus, als plötzlich mitten in die Taufe hinein die heuer neu eingeführte Wiesn-Begrüßung aus den Lautsprechern dröhnt – auf Deutsch, Englisch und Bayrisch. Da muss sogar Pater Paul Schäfersküpper grinsen, der seit fast zwanzig Jahren als Seelsorger auf die Wiesn kommt, Zelte und Fahrgeschäfte segnet und immer wieder auch Kinder von Schaustellern tauft, so wie heute. Nach ihm ergreift Pfarrer Sascha Ellinghaus das Wort. Der Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz schlägt den Bogen vom Gottesdienst zum Volksfest, und betont: „Beiden ist es gemeinsam, dass es gemeinsam schöner ist.“ So sei der Wiesn-Besuch in der Gruppe stets angenehmer, „und es ist auch schöner, wenn man seinen Glauben in der Gemeinschaft mit vielen teilen kann“.

Nach seiner Predigt spendet Pfarrer Ellinghaus das Sakrament der Firmung an Fabio Lucca Konrad, dessen Familie bereits in fünfter Generation das Fahrgeschäft „Toboggan“ betreibt. Seine Firmvorbereitung habe der Sohn in der Heimatgemeinde gemacht, hat sein Vater Claus Konrad zuvor erzählt. Als man dort jedoch erfuhr, dass der Firmtermin ausgerechnet am mittleren Wiesn-Wochenende sei, habe sich die Familie kurzerhand entschlossen, die Firmung aufs Oktoberfest zu verlegen – ins Festzelt.

Passend dazu wählt Pfarrer Ellinghaus einen „ortstypischen Vergleich“, wie er sagt. Demnach wüssten viele Wiesn-Besucher nur zu gut, dass nach einer Maß Bier, „oder vielleicht auch zwei oder drei“, so der Geistliche, „eine gewisse Einschränkung in Sprachgebrauch und Orientierung einsetzt“. Grund hierfür sei der Alkohol, „der geschmacklos und unsichtbar ist und trotzdem sein Wirken entfaltet“, sagt Pfarrer Ellinghaus. „Vergleichbar und doch ganz anders“ verhalte es sich mit dem Heiligen Geist, dessen Gaben der Firmling bei der Firmung erhält. Denn der sei, so der Geistliche, „das unsichtbare Wirken Gottes“.

Im Anschluss an die Firmung und dem obligatorischen Schaustellergebet verteilen die Geistlichen die Hostie unter den Anwesenden. Die ziehen danach von dannen – zu ihren Ständen, zu den Fahrgeschäften, zu den Zelten. Und schon zwei Stunden später steht dort, wo am Vormittag noch der provisorische Altar aufgebaut war, die „Pepi Kugler Band“ auf der Bühne. Dazu wird unten an den Tischen geschunkelt, gelacht und geprostet – vorbei ist’s mit der Besinnlichkeit.