München
"Überall wird hingekotzt und hingebieselt"

Anwohner der Theresienwiese haben es nicht leicht Einige schützen ihre Gärten nun mit einem Bauzaun

18.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:29 Uhr

Foto: DK

München (DK) München feiert das Oktoberfest. Ganz München? Nein. Denn für viele der umliegenden Anwohner ist die Wiesn-Zeit der reine Horror. Einige von ihnen protestieren nun mit einem hundert Meter langen Zaun gegen Krakeeler und Wildbiesler.

Man tritt den Bewohnern jenes fünfstöckigen Hauses am Kaiser-Ludwig-Platz sicher nicht zu nahe, wenn man ihren Vorgarten als, sagen wir mal schlicht bezeichnet. Er ist ja ohnehin nur einige Meter breit, vorne gibt es eine kaum kniehohe Kirschlorbeerhecke, dahinter erstreckt sich ein grün-brauner Fleckenteppich aus Rasen und Erde, dazu eine Handvoll robuste Sträucher. Keine Blumen, keine Deko, nichts fürs Auge.

Ausgerechnet dieser karge Garten wird seit einigen Tagen von einem Bauzaun beschützt, mannshoch, fast hundert Meter lang, die einzelnen Elemente mit Metallspangen verschraubt. An den Zaunstreben hängen 18 großformatige Plakate - doch dazu später. Zunächst gilt es nämlich, das Unappetitliche abzuhandeln, mithin der Grund, weshalb sich die Bewohner der insgesamt 42 Apartments entschieden haben, ihren Vorgarten 18 Tage lang mit einem Bauzaun abzuriegeln.

Martin Ruckert ist einer von ihnen, seit 1999 wohnt er hier. Der Hochschulprofessor ist ein höflicher Mensch, der sich auszudrücken weiß - umso mehr irritieren die drastischen Worte, mit denen er schildert, was seine Nachbarn und er Jahr für Jahr durchmachen müssen, wenn keine hundert Meter entfernt der Ausnahmezustand namens Oktoberfest herrscht. Bis spät in die Nacht ziehen Krakeeler am Haus vorbei, erzählt Ruckert. Immer wieder lassen sich Gruppen von Betrunkenen auf dem Bordstein vor dem Vorgarten nieder und nutzen selbigen als Toilette. "Überall wird hingekotzt, hinbieselt und hingekackt - an die Sträucher, auf die Wiese, an die Hauswand." Des Öfteren hätten Wiesn-Gänger auf der Suche nach einer Toilette auch mitten in der Nacht bei allen Bewohnern Sturm geklingelt. Und einmal sei des Morgens gar ein grässlicher Gestank durchs Haus gewabert, nachdem ein Betrunkener seine Notdurft kurzerhand im Treppenhaus verrichtet hatte.

Wer Ruckert längere Zeit zuhört, den überkommt das pure Oktoberfest-Grauen. Wobei der Professor keineswegs ein Wiesn-Hasser ist und selbst ab und an aufs Festgelände rausgeht. Und er betont: "Die große Mehrheit der Besucher ist ja vernünftig." Aber wenn an einem Samstag eine halbe Million Menschen auf einem Fleck seien und davon fünf Prozent sturzbetrunken, "dann sind das immer noch 25 000", rechnet Ruckert vor. Und etliche von ihnen müssen auf dem Rückweg am Kaiser-Ludwig-Platz vorbei - mit den genannten Folgen.

Doch nicht nur dort leiden Anwohner zur Wiesn-Zeit: Während dieser Tage Bilder aus München um die Welt gehen, die den anzapfenden Oberbürgermeister, fröhliche Menschen im Festzelt, Mandeln knabbernde Mädchen und Karussell fahrende Buben zeigen, dann wird gerne mal vergessen, dass rund um die 42 Hektar große Theresienwiese im Herzen der Stadt auch Menschen wohnen. Um das in Erinnerung zu rufen, haben die Bewohner am Kaiser-Ludwig-Platz heuer nicht nur einen Bauzaun aufgestellt, sondern an diesen auch die erwähnten Plakate gehängt. Sie thematisieren den Müll, den Lärm und den Verkehr, unter dem die Anwohner leiden.

"Wir wollen den Leuten vermitteln, was hier jedes Jahr geschieht", sagt Martin Ruckert, der auch im örtlichen Bezirksausschuss sitzt, der die Plakataktion mit 550 Euro bezuschusst hat. Von der Stadt fühlt sich Ruckert "ein bisschen im Stich gelassen". Allen voran ein Verkehrskonzept für die Oktoberfest-Zeit wäre vonnöten, findet er. "Außerdem wäre es gut, wenn die Polizei gegen Wildbiesler vorgehen würde. Wenn da immer wieder Streifen kontrollieren, dann spricht sich das rum."

Wobei Martin Ruckert der Polizei, deren Inspektion gleich um die Ecke ist, keine Vorwürfe machen will: "Die haben zur Wiesn-Zeit natürlich anderes zu tun." Das bestätigt eine Polizeisprecherin. Demnach sei das Wildbieseln - anders als das Wildkotzen - zwar eine Ordnungswidrigkeit, die eine Geldbuße von etwa 35 Euro nach sich ziehe. Jedoch gelte hier das Opportunitätsprinzip, erklärt die Sprecherin. "Die Beamten entscheiden also je nach Situation, ob sie dem nachgehen." Und gerade in den Abendstunden zur Wiesn-Zeit "liegen die Prioritäten natürlich auf anderen Dingen", so die Polizeisprecherin.

Martin Ruckert jedenfalls wählt schon seit einigen Jahren eine ganz andere Taktik, um sich zumindest den größten Wiesn-Ärger zu ersparen: "An den Wochenenden versuchen wir nicht daheim zu sein", sagt er. "Sonst würde man das kaum aushalten."