München
Riesen-BHs und verlotterte Franzosen

Was Besucher alles unternehmen, um in überfüllte Wiesn-Zelte zu gelangen

30.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:14 Uhr

München (DK) Wenn es darum geht, in überfüllte Bierzelte zu kommen, kennen Kreativität und Einsatz der Oktoberfestbesucher keine Grenzen. Manchmal hilft das, um reingelassen zu werden. Die Türsteher sagen aber, statt billiger Tricks führen Tracht und Freundlichkeit eher zum Erfolg.

George und Artur bewachen einen der begehrtesten Eingänge am Münchner Oktoberfest. Das Weinzelt gilt mit seiner hohen Promi-Dichte nicht nur als eines der exklusivsten Ziele auf der Wiesn, es hat auch noch länger auf als die großen Bierhallen. Vor allem abends drängen sich daher oft Hunderte Menschen vor dem Einlass, an dem die beiden Türsteher seit vielen Jahren ihren Dienst tun. Und viele von ihnen machen alles, um doch noch ins überfüllte Zelt zu kommen - und werden dabei mitunter auch sehr kreativ.

Vor einiger Zeit sei einmal ein Mann an der Zelttür aufgetaucht und habe gesagt, seine Frau sei schon drin. Sie habe aber etwas vergessen und er müsse deshalb hinterher. "Ich habe dann natürlich gefragt: ,Was' Und dann hat er einen wirklich riesigen BH rausgezogen", berichtet George mit einem lauten Lacher und breitet dabei seine Arme so weit aus, dass der imaginäre BH die Ausmaße eines Badehandtuchs annimmt. Der Mann durfte seiner Frau das fehlende Utensil schließlich ins Zelt liefern. Überhaupt werden Frauen oft vorgeschickt, um die Männer dann ins Zelt nachzuholen. "Das lässt mich manchmal an der Liebe zweifeln", sagt George.

Die BH-Episode ist eine seiner Lieblingsgeschichten, aber bei Weitem nicht die einzige, die sich in mehr als einem Vierteljahrhundert als Weinzelt-Türsteher angesammelt hat. Und so erzählt er von fünf Franzosen, die vor seiner Tür auftauchten. "Die waren ziemlich verlottert. Ich habe ihnen dann erklärt, dass sie so schmutzig nicht reinkommen." Aber die Gruppe legte sich kräftig ins Zeug. Zwei Stunden später standen sie wieder vor George - frisch versorgt mit kompletter Trachtenmontur aus dem nächstgelegenen Geschäft. "Die haben sich vor mich gestellt und einen tiefen Knicks gemacht. Da konnte ich sie nicht mehr wegschicken."

Nicht nur zum nächsten Trachtenladen, sondern gleich durch die Zeit reisen wollte ein Australier. Der fragte die Türsteher, wo er denn Reservierungen für seine Gruppe kaufen könne, sagt der 38-jährige Artur, der seit fünf Jahren an der Pforte über Glück und Unglück der Feierwütigen entscheidet. Als dieser dem Besucher erklärte, dass man sich um die Bändchen schon ein Jahr im Voraus kümmern müsse, fragte der verzweifelt: "Und wo kann ich eine Zeitmaschine kaufen" Diese Antwort brachte ihn direkt ins Zelt. Generell scheint Verzweiflung kein schlechtes Mittel zu sein - zumindest wenn sie echt ist.

George berichtet von einem jungen Pärchen, bei dem die Frau den Mann schon in einiger Entfernung niedermachte, dass sie wegen ihm nicht ins Zelt kommen würden. "Ich habe gesehen, der Junge geht unter und ist verzweifelt. Deswegen habe ich die beiden reingelassen." Der habe ihm einfach leidgetan.

Auf allzu billige Tricks reagieren die Türsteher dagegen allergisch. Gefälschte Reservierungsbänder, Fakeanrufe von Zeltbetreiber Roland Kuffler, Möchtegern-Verwandte der Familie Kuffler oder angeblich verlorene Sachen, Frauen oder Kinder kommen gar nicht gut an. Auch kommen jedes Jahr viele vermeintliche Bürgermeister und wichtige Vertreter von Städten, die es gar nicht gibt. Deren politische Karriere endet aber vor der Zelttür. Je später es ist und je mehr Alkohol schon geflossen ist, desto platter werden die Ideen.

Auch wer sich als Wiesn-Bedienung ausgibt, hat nur geringe Erfolgsaussichten. "Die kennen wir alle. Und die dürfen natürlich rein", sagen die Türsteher. Das gilt auch für Stammgäste oder viele Pärchen, die sich im Zelt kennengelernt haben und auf ihren Jahrestag mit einem Gläschen Schampus anstoßen wollen.

Allgemein gilt: Pärchen haben an der Weinzelt-Tür deutlich bessere Chancen als große Gruppen. Entscheidend ist aber vor allem das Auftreten. Wer schubst, sich wichtig macht oder sich nicht benehmen kann, hat selbst mit Reservierung schlechte Karten.

Freundlichkeit, gepflegtes Aussehen, Zuvorkommenheit gegenüber Frauen und Älteren sowie Zurückhaltung und Geduld beim Warten werden dagegen goutiert, wie die Türsteher berichten. Auch wer Tracht trägt, hat schon einen Pluspunkt gesammelt. In diesem Jahr mussten die Türsteher aber deutlich seltener streng sein als in den Vorjahren. Aufgrund der geringeren Besucherzahlen waren die Türen nicht so oft geschlossen. "Mehr Platz, weniger Hektik - das ist doch eine wunderbare Wiesn", findet George.

Und das, obwohl er es auch in diesem Jahr mit vielen "unangenehmen Typen" zu tun hat. Einen Trick hat auch er: In der Tasche hat er meist etwas Schokolade oder Mandeln zum Verteilen. Damit ließen sich schon die meisten Situationen entschärfen. Ans Aufhören denkt der 50-Jährige noch lange nicht. "Das wird irgendwann zur Sucht", sagt er. Er wolle weitermachen, bis er 86 ist. Die Besucher müssen sich also noch viele Geschichten einfallen lassen, um ihn und Artur zu überlisten.