„Nicht fair für Umwelt“
Initiative fordert Abkehr von Grillhendln aus Massenproduktion

04.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:39 Uhr |
Patrik Stäbler

Karussell der besonderen Art: Unter dem Motto „Hendlsauerei – the Dark Side of the Wiesn“ machten am Mittwoch mehr als 20 Organisationen ihrem Ärger über die Wiesn Luft. Foto: Stäbler

Von Patrik Stäbler

München – Ein Karussell dreht seine Runden, auf den Tischen stehen zünftige Brotzeiten bereit, ein Akkordeonist spielt Wirtshausmusik, und in der Luft liegt zwar nicht der Geruch von Grillhendln, wohl aber ein aus Lautsprechern tönendes Gackern.

Kurzum, es herrscht zumindest ein Hauch von Wiesn-Flair an diesem Vormittag auf dem Münchner Marienplatz – nur wenige Tage, nachdem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) verkündet hat, dass das Oktoberfest nach zwei Jahren Pause heuer wieder stattfinden wird.

„Unser Ernährungssystem ist krank und macht krank“

Allein die hier Anwesenden fiebern der Wiesn nicht entgegen. Oder genauer gesagt: dieser Art von Wiesn, die „nicht fair für Umwelt, Mensch und Tier ist“, wie Daniela Schmid vom Münchner Ernährungsrat klagt. Ihre und mehr als 20 weitere Organisationen haben an diesem Vormittag unter dem Dach der Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) zu einer Protestaktion geladen. Ihre Forderung: Die Stadt München müsse ihrer Verantwortung in puncto Tierschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit auch bei Großveranstaltungen gerecht werden – allen voran bei der Wiesn.



Auf dem größten Volksfest der Welt werden unter anderem eine halbe Million Grillhendl verspeist, das Gros davon aus industrieller Massenhaltung. „Hendlsauerei – the Dark Side of the Wiesn“ heißt daher das Motto der Veranstaltung, das die Organisatoren auch in Form einer Kunstinstallation aufgreifen – nämlich dem Karussell. Auf diesem sind verschiedene „Ekelhendl“-Plakate zu sehen sowie ein Aufsteller mit dem Schriftzug „Radikal reduziert! Gehälter, Bodenqualität, Artenvielfalt.“ Darüber hinaus dreht ein überdimensionales Plastikhuhn seine Runden – geköpft, das Blut aus dem Halse quellend.

„Unser Ernährungssystem ist krank und macht krank“, sagt Helmut Schmidt vom Koordinierungskreis der MIN. „Wir wollen, dass sich das ändert.“ In der Pflicht sieht er dabei die Stadt München. Sie müsse jetzt die Weichen dafür stellen, dass der Anteil von Bioprodukten auf dem Oktoberfest sukzessive steige, bis spätestens 2035 nur noch solche Waren feilgeboten werden. Zwar gebe es aktuell bereits „zarte Ansätze“, die Wiesn ökologischer zu machen, räumt Schmidt ein – „aber nicht im großen Stil“.

Stadt München: Oktoberfest sei ein „Öko-Großevent“

Im Rathaus freilich sehen das viele anders. So verweist die Stadt beim Thema Nachhaltigkeit beispielsweise darauf, dass schon seit 2012 alle Schausteller, Marktkaufleute und Wirte auf der Wiesn mit Ökostrom versorgt werden. Zudem würde bei den Bewerbungen von Schaustellern und Standbetreibern auch die „ökologische Verträglichkeit“ der Betriebe berücksichtigt. Kulinarisch sei das Oktoberfest ohnehin „mittlerweile ein Öko-Großevent“, heißt es vonseiten der Stadt. So gebe es dort vom Grillhendl bis zur gebrannten Mandel allerlei Schmankerl in Bioqualität.

Allein den Aktivistinnen und Aktivisten der MIN reicht das noch lange nicht. Gerade bei der Vergabe der begehrten Plätze auf dem Festgelände müsse die Stadt zusätzliche Anreize schaffen, um den Anteil von Bioprodukten zu erhöhen, fordert Daniela Schmid vom Münchner Ernährungsrat. Ihr zufolge braucht es auf der Wiesn mehr vegetarische und vegane Angebote, den Verzicht auf Produkte aus industrieller Tierhaltung sowie faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten. „Wenn wir jetzt anfangen, dann schaffen wir bis 2035 den Umbau hin zu hundert Prozent bio“, gibt sich Daniela Schmid überzeugt.

Großveranstaltungen kommt entscheidende Rolle zu

Auch Annalena Brams, Landwirtin aus Niederbayern und als Annalena I. bayerische Bio-Königin, betont: „Bio hat den Schritt aus der Nische inzwischen geschafft.“ Jetzt gelte es, „bio im alltäglichen Leben zu verankern“. Und genau hier, so glauben die Aktivistinnen und Aktivisten, komme Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest eine entscheidende Rolle zu.

Doch lässt sich die Wiesn eben mal so zum reinen Bio-Volksfest ummodeln, wie es etwa das deutlich kleinere Tollwood für sich reklamiert? „Natürlich gibt es viele, die sagen, das geht nicht“, ruft Helmut Schmidt, während sich hinter ihm das Hendl-Karussell dreht. „Doch das hieß es auch vor 31 Jahren, als ein Mehrweggebot auf der Wiesn eingeführt werden sollte. Und dann hat es innerhalb von zwei Jahren funktioniert – und das tut es bis heute.“

DK

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