"Unverhältnismäßig und unsinnig"

AfD fordert Ende der Corona-Beschränkungen - Zuvor hatte sie nach einer "starken Hand" gerufen

17.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:59 Uhr
Aus Protest gegen die Maskenpflicht trat der AfD-Abgeordnete Stefan Löw Anfang Juli im Landtag mit einer Gasmaske auf. Deshalb handelte er sich eine Rüge ein. Landtags-Vizepräsident Alexander Hold (Freie Wähler) bewertete den Vorfall als ungebührliches Verhalten mit dem Ziel, den Landtag lächerlich zu machen. Außerdem entzog er Löw das Rederecht. −Foto: dpa

München - Vielerorts in Deutschland dürfen sich die Menschen längst wieder völlig zwanglos auch in beliebig großen Gruppen treffen, selbst Bars und Kneipen haben mittlerweile wieder geöffnet. In Bayern hingegen gelten bis heute knallharte Verbote - der "Kurs der Vorsicht", den Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Corona-Bekämpfung ausgerufen hat, wird von der Staatsregierung konsequent durchexerziert.

Die AfD beklagt hingegen einen "Ausnahmezustand", der beendet werden müsse.

Tatsächlich: Mitte der Woche hat die Staatsregierung die sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vorgelegt. Sie gilt bis 2. August. Zahlreiche Kontaktbeschränkungen in Bayern wurden damit verlängert: So ist derzeit der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum nur mit Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet, mit Ehegatten, Lebenspartnern, Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Verwandten in gerader Linie, Geschwistern sowie Angehörigen eines weiteren Hausstands, oder aber in Gruppen von maximal zehn Personen. Das Feiern und Grillen auf öffentlichen Plätzen und Anlagen ist unabhängig von den anwesenden Personen untersagt. Und auch Treffen in privaten Räumen und Grundstücken sind nicht in beliebig hoher Personenzahl möglich - die anderthalb Meter Mindestabstand müssen eingehalten werden.

Der AfD geht das zu weit: "In ganz Deutschland wurden normale Lebensverhältnisse weitgehend wiederhergestellt - nur Bayern geht weiterhin seinen Sonderweg", kritisiert Roland Magerl, stellvertretender Vorsitzender und laut AfD-Mitteilung derzeit gesundheitspolitischer Sprecher ihrer Landtagsfraktion. Als Ursache für die Einschränkungen sieht er weniger die Umstände der Corona-Epidemie, sondern vor allem die politischen Ambitionen Söders. In einer Mitteilung wirft der AfD-Mann Söder vor, er wolle sich lediglich "als oberster Kümmerer der Nation inszenieren". Es sei aber den Menschen in Bayern "nicht zumutbar, noch länger unter Söders Allüren leiden zu müssen". Magerl: "Für eine Fortdauer der Kontaktsperren oder sonstiger Beschränkungen gibt es keine epidemiologische Grundlage."

Als Argument führt der AfD-Mann an, dass sich die Zahl der Sterbefälle in den vergangenen Monaten statistisch "im normalen Bereich bewegt" und nimmt dabei Bezug auf diverse Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Tatsächlich beobachtet das Statistische Bundesamt die sogenannte "Übersterblichkeit" im Rahmen einer Sonderauswertung - und kommt zu dem Ergebnis, dass im März 2020 "bei einer monatsweisen Betrachtung kein auffälliger Anstieg der Sterbefallzahlen im Vergleich zu den Vorjahren erkennbar" sei. "Im April lagen die Sterbefallzahlen allerdings deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre; seit Anfang Mai bewegen sich die Sterbefallzahlen wieder etwa im Durchschnitt." Derlei ist insofern beachtlich, als Experten überzeugt sind, dass durch den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lockdown sowie die strikten Kontaktsperren viele Ansteckungen (auch solche mit normaler Grippe) vermieden und vermindert worden waren.

Für die AfD liegen die Zusammenhänge und die Schlussfolgerungen indes auf der Hand: "Angesichts der seriösen Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist eine Beibehaltung der Einschränkungen unverhältnismäßig und unsinnig. Anstatt aber endlich für Normalität zu sorgen, will die Staatsregierung aus wahltaktischen Gründen weiterhin Angst und Hysterie erzeugen", so Magerl.

Wie grundsätzlich die Kritik der AfD an den Corona-Maßnahmen ist, zeigt sich an einer Verfassungsklage - gegen die Maskenpflicht im bayerischen Landtag. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von Akademie für Politische Bildung in Tutzing attestiert der AfD "eine kalkulierte Positionierung der Partei: Man versucht, Stimmungen in einem Teil der Bevölkerung zu bedienen". Zu Beginn der Corona-Krise habe es aus der AfD den Vorwurf zu langsamer Reaktionen der Regierungen gegeben, dann aber relativ rasch Kritik an den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Shutdowns.

"Insgesamt zeigen die verschiedenen Phasen des AfD-Verhaltens eine recht opportunistische Art und Weise, auf sich als Opposition aufmerksam zu machen", sagt Münch. Denn im Februar hätten vor allem AfD-Bundespolitiker noch davor gewarnt, dass die Bundesregierung zu langsam auf die Nachrichten aus China reagiere, im März sei ein "5-Punkte-Sofortprogramm" der AfD vorgelegt worden, "mit zum Teil sehr weitreichenden Forderungen bezüglich finanz- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen", so Münch.

Und auch die AfD-Fraktion im bayerischen Landtag habe der Staatsregierung am 10. März noch vorgeworfen, "zu spät" auf das Virus zu reagieren und "alle Maßnahmen, welche die weitere Ausbreitung" des Virus bremsen, begrüßt. Der damalige Vorwurf der AfD: "Bayern bräuchte nun klare Anweisungen und eine starke Hand, die die CSU nicht bietet", so der einstige gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Andreas Winhart.

DK


Alexander Kain