Touristen,
Althergebrachtes und die digitale Revolution

Bayern 2025 Teil 9: Tradition und LebensartZum Freistaat gehört gepflegtes Brauchtumeinfach dazu. Neue Entwicklungen machen aber auch vor so mancher Tradition nicht Halt. Wie wird moderne Technik unsere Art zu wohnen verändern? Und wird im Freistaat bald nicht mehr nach dem Reinheitsgebot gebraut? Ein Blick in die Zukunft der bayerischen Lebensart.

06.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:20 Uhr

Touristen, die den Weg in den Freistaat finden, haben nicht selten Mädchen im Dirndl und biertrinkende Burschen in Lederhosen im Sinn. Ein nicht aus der Luft gegriffenes und doch zu stark reduziertes Klischee über die traditionelle Lebensart in Bayern.

Als das Königreich Bayern am 1. Januar 1806 offiziell proklamiert wurde - im Übrigen mit der Genehmigung des Franzosenkaisers Napoleon Bonaparte - bestand es aus Franken, Pfälzern, Schwaben und Altbayern. Sie unterschieden sich sehr voneinander, und wenn man ehrlich ist, hat sich das bis heute nicht wesentlich verändert. Ein Problem ist das freilich nicht. Denn jede Region im Freistaat hat ihre ganz eigenen Bräuche. Doch die Welt wird kleiner, rückt in Zukunft noch näher zusammen und wird vernetzter. Für Experten wird es spannend sein, welche Bereiche des beinahe legendären Brauchtums im Freistaat sich durch die Digitalisierung und schlicht aufgrund der fortschreitenden Zeit verändern werden.
 

Traditionelle und moderne Lebensart  

Schützenvereine sind der Inbegriff des bayerischen Brauchtums. Hier werden viele Traditionen mit besonderer Hingabe gepflegt, ebenso die Gemeinschaft. Wer sich aber genau in einem modernen Schießstand umschaut, der erkennt, dass auch hier die Welt nicht stehen geblieben ist. Laserwaffen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit - nicht nur bei jungen Schützen. Die Sportschützen verwahren also nicht mehr nur herkömmliche Gewehre, sondern digitale Präzisionswaffen. "Wir werden aber nicht alles digitalisieren", ist Martin Wölzmüller, Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, überzeugt. Die Menschen wollten sich schließlich ohne moderne Technik messen. Neben dem Schützensport ist das Schafkopfen eine weitere große Leidenschaft vieler Menschen im Freistaat. Doch während früher die Karten lautstark in der Wirtschaft auf den Tisch geknallt wurden, wird heute am Rechner gezockt. Online-Poker war gestern. Digitale Schafkopfrunden im Internet sind längst keine Ausnahme mehr - was aber weniger an der Begeisterung vieler Schafkopfspieler für neue Techniken, als am Mangel an traditionellen Wirtshäusern liegen dürfte. "Generell muss man aber sagen, dass das bayerische Brauchtum nicht aussterben wird", sagt Wölzmüller. Man müsse sich beispielsweise vor Augen führen, dass "wir heute eine Dichte an Blasorchestern und Theatergruppen haben wie lange nicht".

 

Wohnen im digitalen Zeitalter  

Häuser sagen viel über eine Region aus. In Bayern gibt es Dutzende unverwechselbarer Baustile, die sich seit Jahrhunderten bewährt und kaum verändert haben. Das könnte nun aber enden. "Unsere Häuser und Höfe werden sich weiter unserem Leben anpassen", sagt Martin Wölzmüller. In früheren Zeiten wandelte sich das Leben nur wenig - und die Behausungen daher ebenso. Heute hingegen kommen nahezu täglich bahnbrechende elektronische Neuerungen auf den Markt, die das Leben erleichtern und bereichern sollen. So ist es nicht ausgeschlossen, dass selbst die Küchengeräte auf entlegenen Almen in Zukunft vernetzt sein werden. Vor allem in der Landwirtschaft stehen aber große Veränderungen an. Das Antlitz und der technische Aufbau bayerischer Bauernhöfe werden sich neuen Gegebenheiten anpassen, werden neuen Herausforderungen gewachsen sein müssen. "Schon heute haben wir sogar auf kleinere Höfen in den Bergen digitale und technische Helferlein", sagt Wölzmüller. Wer Landwirtschaft in diesen Tagen als Broterwerb verstehe, komme allein mit traditionellen Mitteln kaum mehr aus. "Vieles von dem, was wir derzeit noch an althergebrachter Landwirtschaft in Bayern sehen, ist subventioniert", erklärt Wölzmüller.

 

Die Tracht bleibt sich treu  

Auch in Zukunft wird es unverfälschte Dinge geben. Ein Fels in der digitalen Brandung ist beispielsweise die Tracht. Geht es nach Max Bertl, Landesvorsitzender des Bayerischen Trachtenverbands, bleiben die traditionellen Kleidungsstücke - ganz gleich ob Dirndl, Lederhose oder Janker - wie sie sind: charakteristisch für die jeweilige Region und frei von modernem oder gar technischem Schnickschnack. Eine Trachtenjacke mit einem Anschluss fürs Smartphones kann er sich nicht vorstellen: "Wir sind nicht gegen das Neue. Aber der Mensch braucht in diesen Zeiten etwas, das ihn aus der digitalen Welt heraushält und an die Traditionen erinnert", meint Bertl. Diese Aufgabe könne auch die Tracht übernehmen. Die Trachten hätten sich zwar immer leicht verändert, sich modernen Gegebenheiten angepasst. "Von der Digitalisierung werden unsere Trachten aber nicht erfasst werden." Eine Ausnahme sieht Bertl lediglich bei den Materialien. Gerade bei Modetrachten, wie sie viele Touristen zum Oktoberfest kaufen, werden sich synthetische, industriell gefertigte und damit günstige Materialen durchsetzen, wie er meint. "Die gute Feiertagstracht wird aber weiter so bleiben, wie sie ist - und die Trachtler gleich mit ihr."

 

Brauen in der Industrie 4.0  

Auch im Freistaat geht Liebe bekanntlich durch den Magen. Viele Bayern mögen es deftig - und dazu natürlich ein kühles Bier. Bier ist seit Jahrhunderten untrennbar mit dem Freistaat verbunden. Das 1516 in Ingolstadt ausgerufene Reinheitsgebot ist legendär, die Vielfalt des bayerischen Bieres nahezu unerreicht. Doch auch die alte Tradition des Brauens wird durch die Industrie 4.0 revolutioniert. Der Gerstensaft an sich dürfte davon weitgehend verschont bleiben - die dazugehörigen Betriebe mitnichten. Die Sudhaus- und Abfülltechnik entwickelt sich immer weiter, die Automatisierung nimmt selbst in kleinen Betrieben zu. Der Braumeister in Lederschürze, der im dampfenden Kessel rührt, ist schon heute ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Und dennoch: Experten wissen, dass die Digitalisierung in der Lebensmittelbranche allgemein noch nicht so tiefgreifend angekommen ist wie etwa in der Automobilindustrie. Auch die Sorge, dass das bayerische Bier durch die neuen Möglichkeiten zu einer Einheitsbrühe verkommt, ist laut Lothar Ebbertz, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds, unbegründet: "Man sieht seit einigen Jahren, dass die modernen Entwicklungen im Anlagenbau sogar dazu geführt haben, dass sich kleinere Anlagen viel besser rechnen als früher und daher attraktiv werden", erklärt Ebbertz. Der Trend zu immer größeren Ausstoßmengen sei vorbei. Man könne wieder mehr Brauereigründungen und somit auch Abwechslung verzeichnen. "Damit sich die kleineren Brauereien aber halten, muss der Kunde auch die Authentizität und die Qualität suchen und einen höheren Preis zahlen wollen - das ist derzeit vermehrt der Fall." Das wiederum hängt vor allem von der Kommunikation mit dem Kunden ab. Hier zeigt sich die Digitalisierung in der bayerischen Brauwirtschaft am deutlichsten, Werbung hat für die Branche erheblich an Bedeutung gewonnen. "Hier werden die sozialen Medien für die Brauer als Werbefläche immer wichtiger", sagt Ebbertz. Früher sei nicht absehbar gewesen, dass Internet-Netzwerke für die Brauer bedeutend werden könnten. Die Brauer stecken schon heute in diesem Bereich in der Digitalisierung. Niemand sei derzeit in der Lage, eine Prognose bis 2025 zu geben. "Sie finden kaum noch eine Brauerei, die nicht über alle möglichen Accounts verfügt und ihre Marke auch digital pflegt", so Ebbertz. Hier folgt die Brauwirtschaft schlicht der Gesellschaft. "Wir müssen zusehen, dass wir unsere Kunden erreichen", erklärt er.

 

Alte Sprache, neue Zeit  

Sprache ist Identität und Individualität zugleich. In mancher Region verstehen sich nicht einmal die Menschen benachbarter Ortschaften. Doch der Dialekt als Tatsache eint. Für die Sprachvielfalt im Freistaat ist die Digitalisierung auf den ersten Blick eine Bedrohung. Wird heute nicht vieles auf Englisch erledigt? Und ist die Sprache in sozialen Netzwerken nicht weit von jener des Alltags entfernt? "Je großräumiger Sprache verwendet wird, desto vereinheitlichter wird sie natürlich", sagt Martin Wölzmüller vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege - und gibt zugleich Entwarnung. "Wir stellen fest, dass regionale Sprache seit einigen Jahren eine regelrechte Renaissance erlebt." Auch im Internet könne man beobachten, dass vor allem junge Menschen vermehrt "dialektal gefärbte Sprache" verwendeten. Die bayerischen Dialekte werden sich also vielleicht leicht verändern - das hätten sie laut Wölzmüller ja immer getan. In Gefahr sind sie aufgrund der neuen Kommunikationsmittel aber nicht.