Süßes Geschäftsmodell

Für die Firma "Kuchentratsch" kommen in München Omas zusammen, um gemeinsam zu backen

03.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:49 Uhr
  −Foto: Obster

München - Auf den Regalen stehen unzählige bunte Schüsseln, Formen, Messbecher, Töpfe, Schneidebretter, Behälter mit Pinseln, Schneebesen, Reiben und Schaber aller Art.

 

An einer Wand lagern Backzutaten in riesigen Mengen, wie Zucker, Kakao und Haferflocken, daneben säckeweise Mehl. Ein süßer Duft liegt in der Luft, der aus den Backöfen in der Ecke strömt. Die Mitte des Raumes gehört ganz den Omas, die an großen Holztischen die handgeschriebenen Bestellungen routiniert umsetzen und dabei angeregt miteinander plaudern. Sie tragen farbenfrohe Kochmützen und eine Schürze mit der pinken Firmenaufschrift "Kuchentratsch". In zwei angrenzenden Büros arbeiten sieben junge Vollzeitkräfte, die sich um Vertrieb, Logistik, Buchhaltung und Organisation kümmern. Alle reden sich mit Vornamen an, egal, welches Alter das Gegenüber hat.

Die Backstube befindet sich in einem Hinterhof im Westen Münchens, der Lärm der vielbefahrenen Landsberger Straße ist in dieser kleinen Oase nicht zu hören. Sieben Omas sind heute in der Vormittagsschicht von 9 bis 13 Uhr am Werk. Die fertigen Kuchen werden frisch an die Kunden - Firmen, Cafés, Caterer und Privatpersonen - ausgeliefert oder zum Teil per Post deutschlandweit versendet. Von 13 bis 17 Uhr arbeitet die zweite Schicht.

Mit flinker Hand verteilt Rosemarie Rottmann die Masse mit Apfelstückchen auf dem Kuchenboden in der Springform. Man sieht sofort, dass hier ist ein Profi am Werk ist. Für das Backen nimmt die 79-Jährige einen langen Anfahrtsweg auf sich: In die Landeshauptstadt ist sie gut eineinhalb Stunden unterwegs. Die gebürtige Münchnerin lebt seit ein paar Jahren in Königsbrunn bei Augsburg, weil sie damit näher bei ihrem Sohn wohne, erzählt sie. "Aber ich vermisse München sehr. " Als sie über ein Info-Blatt auf "Kuchentratsch" aufmerksam wurde, überlegte sie nicht lange und bewarb sich. Zweieinhalb Jahre ist sie nun schon Team-Mitglied und backt in ihrer Schicht etwa sechs bis neun Kuchen, "je nach Aufwand", wie sie sagt.

 

Die meisten Omas kommen einmal pro Woche - nur zur Hochkonjunktur in der Weihnachtszeit werden sie öfter gebraucht. In die Dienstpläne können sie sich selbst eintragen, wie Theresa Offenbeck erklärt, die bei "Kuchentratsch" für Kommunikation und Presse zuständig ist. "Meist nehmen die Omas immer dieselbe Schicht, weil sich Gruppen gebildet haben und Freundschaften entstanden sind. "

Knapp 50 Seniorinnen und Senioren arbeiten in dem Unternehmen, darunter auch fünf, die nicht backen, sondern die Kuchen ausliefern. Und dann gibt es noch eine Handvoll Ehrenamtliche. Sie helfen beim Verpacken und Verzieren der Kuchen-Pakete, kommen zum Spülen oder Putzen in die Backstube oder legen einfach da Hand an, wo gerade Not am Mann ist.

Gebacken wird immer montags, mittwochs und freitags, wie Offenbeck sagt. "Dienstag und Donnerstag machen wir dann speziellere Sachen, wie Großaufträge für Firmen. " Das Ziel sei jedoch schon eine Vollauslastung, also tägliches Backen und tägliches Ausliefern. An Omas mangelt es dabei nicht, es gibt sogar eine Warteliste. Die Interessentinnen werden zum Kennenlern-Gespräch und zum Probebacken eingeladen. "Das fällt ihnen in der Regel sehr leicht, weil jede, die kommt, ohnehin eine Leidenschaft fürs Backen hat. " Die Frauen werden auf 450-Euro-Basis angestellt, abgerechnet wird stundenweise.

 

Als "Kuchentratsch" im April 2014 gegründet wurde, stand vor allem der soziale Aspekt im Vordergrund, erzählt Offenbeck. "Wir haben aber schnell gemerkt, dass die Omas nicht wegen des Geldes zu uns kommen. Der Zuverdienst zur Rente ist für den einen zwar mehr, für den anderen weniger wichtig. Aber bei vielen ist bereits der Partner gestorben und als Rentner fehlt ihnen eine Tagesstruktur. Aber sie lieben es zu backen, wissen aber nicht, für wen", zählt Offenbeck die Gründe auf, warum sich die Seniorinnen bei "Kuchentratsch" melden.

Die Idee für die Firma hatte Katharina Mayer. Die heute 30-Jährige studierte damals in Innsbruck BWL. Was ihr besonders fehlte, waren die Kuchen ihrer Oma. Zusammen mit einer Freundin, die inzwischen aus der Firma ausgestiegen ist, wollte sie zum einen eine Anlaufstelle für ältere Menschen schaffen und zum anderen Kuchenliebhaber mit Selbstgebackenem versorgen. Fast ein Jahr betrieben die Studentinnen mit Hilfe von Mayers Oma und ein paar weiteren Seniorinnen "Kuchentratsch" zur Probe, zunächst nur einmal in der Woche in der Kantine des Zollamts.

Als die Nachfrage immer größer wurde, beschlossen sie, eine Backstube anzumieten, ihre Werkstudentenjobs zu kündigen und das Ganze in Vollzeit zu betreiben. Sie nahmen Darlehen auf und starteten im Internet eine Crowdfunding-Kampagne. Mit Hilfe von Investoren - zehn Prozent der Firmenanteile gaben sie 2018 bei der TV-Sendung "Die Höhle der Löwen" für 100000 Euro an Carsten Maschmeyer und Dagmar Wöhrl ab - schafften sie den Sprung in die Selbstständigkeit. Mittlerweile gibt es von "Kuchentratsch" auch drei Backbücher. Das neueste Projekt, so Offenbeck, seien Backmischungen der Lieblingskuchen ihrer Omas. "Unser Traum ist es, dass diese mal in jedem Supermarkt stehen. "

DK