Ingolstadt
Seehofer und die Freiheit des Alters

Der Bundesinnenminister erzählt vom Regieren und zeigt sich auch von seiner privaten Seite

16.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:15 Uhr
Eine typische Haltung: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei einer Kabinettssitzung. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählte der Ingolstädter ausgesprochen locker und entspannt, wie es ihm in Berlin gefällt. −Foto: Nietfeld/dpa

Ingolstadt (DK) Interviews mit Politikern geraten oft zu einem Katz-und-Maus-Spiel.

Jeder Fernsehzuschauer kennt das: Der Journalist kann noch so oft nachbohren - der Politiker spult gebetsmühlenartig weiter die Sätze ab, die er sich vorher zurechtgelegt hat. Ganz selten allerdings passiert es, dass ein Politiker ins Plaudern gerät. So wie neulich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei einem Besuch in seiner Heimatstadt Ingolstadt: Da entwickelte sich zwischen ihm und einer Redakteurin ganz zufällig ein Gespräch - ein langes Gespräch. Seehofer redete frei von der Leber weg, wie es im Volksmund so schön heißt. Und am Ende erlaubte er, Zitate aus der Unterhaltung zu verwenden.

Mit München, mit der Ära als MP (er spricht die Abkürzung für Ministerpräsident englisch aus) hat Horst Seehofer abgeschlossen. Nicht ganz uneitel erzählt er, Stamm habe ihn stets gelobt als fleißigsten aller bayerischen Ministerpräsidenten. An fast allen Sitzungen hat er teilgenommen. "Für mich war wichtig, welche Argumente und Gegenargumente ausgetauscht werden. Dann brauchte ich nicht nachher die ganzen Akten lesen. Das war für mich eine Arbeitserleichterung. "
Seehofer erzählt, Bayern und Berlin könne man überhaupt nicht vergleichen. Das sei eine andere Liga als Bundesinnenminister. Eine riesige Verantwortung. "Da geht es jeden Tag um handfeste Gestaltung für 80 Millionen Menschen. " Dann schmunzelt er und sagt, wie er sich umstellen musste von "Wir in Bayern" auf "Wir in Deutschland".

Das größte Problem bei Berlin sei jedoch die ganze Logistik, erklärt er, die Wohnungssuche, die strengen Sicherheitsauflagen. Das Amt selber? Seehofer zuckt die Achseln. "Das ist für mich das vierte Ministerium. Es hat aber ziemlich lange gedauert, bis ich okay gesagt habe. "
Er ist eben einer, der von der Politik nicht lassen kann. "Wenn ich immer das Gleiche gemacht hätte, glaube ich, wären mir die Ideen ausgegangen. " Aber so? Erst in der Kommunalpolitik, dann Staatssekretär im Sozialministerium, Gesundheitsminister, dann die Zeit in der Opposition, Landwirtschaftsminister, Bayerischer Ministerpräsident. "Das war immer wieder etwas anderes - wie jetzt im Innenministerium: Da ist jeder Tag auch für mich selber spannend. "

Seehofer überlegt kurz und spricht dann über die Freiheit seines Alters: "Wissen Sie, was jetzt der Unterschied ist zu allem, was ich bisher gemacht habe? Ich habe zum ersten Mal ein Amt, das ich machen kann, aber nicht muss. "
In der Groko scheint es jedenfalls gut zu laufen aus seiner Sicht, auch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Das ist jetzt ein angenehmes Arbeiten. Natürlich weiß sie, dass sie ohne uns nicht regieren kann. Das ist eine starke Stellung für uns. Ein Mensch ist einfach anders, wenn er einen anderen Menschen braucht. "
Er steht jetzt an der Spitze eines Super-Ministeriums. 2000 Leute, 20 nachgeordnete Behörden vom Kaliber Verfassungsschutz oder Bundeskriminalamt. Und acht Staatssekretäre. "Das", so Seehofer, "gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. "
Aber alles nur Männer. "Gleich am ersten Tag habe ich gesagt: Das mit den Frauen ist ein Problem. Aber da kommen noch Frauen, das werden Sie schon feststellen. " Zum Beispiel seine Pressesprecherin Eleonore Petermann, zuvor Leiterin der Protokollabteilung des Innenministeriums. Sie ist keine Journalistin wie üblich.
So ganz ist Bayern natürlich noch nicht von seiner inneren Landkarte verschwunden, noch ist er ja CSU-Chef. Seehofer mag sich nicht äußern zur bayerischen Politik oder zu Söder und seinem Kruzifix. "Ich gebe auch keine Prozentprognose zur Landtagswahl ab, sonst heißt es gleich wieder, ,Seehofer legt die Latte hoch'. "
Über einen dritten Nationalpark spricht er dennoch: Er wisse, dass eine große Mehrheit der bayerischen Bevölkerung hinter dem Projekt stehe. "Das wäre ein ganz starkes Signal, dass wir in Bayern den Schutz unserer Landschaft sehr hoch halten - neben den Menschen unser höchstes Gut. " Aber ihm sei klar, dass zur Durchsetzung eines solchen Vorhabens großes Stehvermögen gehöre. Dann ein Statement: "Im Verhältnis zur Ökologie sind wir noch verbesserungsbedürftig als CSU. "
Dass gerade in seiner Heimatstadt der Widerstand gegen einen dritten Nationalpark so groß ist, bedauert Seehofer. Er versteht auch nicht, warum die Freien Wähler einen Tunnel durch diese Auenlandschaft bauen wollen. "Wir haben nicht mehr so viele Rückzugsräume in einer Großstadt. Ich bin ja selber aufgewachsen mitten im Grünen, an der Donau: Ich habe daran bis heute unvergessliche Erinnerungen. "
Als die Sprache auf das Interview der Süddeutschen Zeitung mit seiner Frau kommt, schmunzelt Seehofer breit. "Das hat wehgetan" lautete die Überschrift - Karin Seehofers Reaktion auf die Attacken gegen ihren Mann nach dem Debakel der Bundestagswahl. Nichts habe er vorher gewusst von diesem Interview, beteuert Seehofer. "Ich habe das dann so wie jeder in der Früh in der Zeitung gelesen. Und dann habe ich sie spontan angerufen und gesagt: ,Das ist ein Meisterwerk. '"
Horst Seehofer geht stramm auf die 69 zu. Wie lange will er noch mitmischen? "Wenn Angela Merkel nicht so insistiert hätte, wäre ich heute im Ruhestand", meint er, aber es fällt einigermaßen schwer, ihm das abzunehmen. Was würde er denn anfangen daheim - als "Papa ante portas"? "Alles" sagt er. Daheim würden sich die Bücher stapeln, weil er nicht zum Lesen komme. Er bastelt gerne. Und Radltouren möchte er unternehmen.

Seine Lieblingsstrecke mit dem E-Bike führt von Gerolfing in Richtung Bergheim über die Staustufe, durch das Gebiet Grünau nach Weichering und Buschletten bis zur Staustufe Ingolstadt. "Und je nach Laune fahre ich dann weiter über die Donaubrücke durch die Stadt. Das ist ja die Gegend meiner Jugend: Donaustraße, Moritzkirche - das war unser Zentrum. Das ist immer ein bisserl gefühlsbetont, weil einen mit jedem Gebäude etwas verbindet. " Zum Beispiel die alte Stadtbücherei, wo er immer Romane von Karl May ausgeliehen hat.
Und dann radelt Seehofer durch die Theresienstraße zurück in Richtung Gerolfing. Durch die Fußgängerzone? Da soll sich der Innenminister mal nicht erwischen lassen. Seehofer schüttelt den Kopf: "Die Leute schauen zwar etwas komisch, aber mit Brille und Käppi erkennt mich so leicht keiner. "

 

Suzanne Schattenhofer