Rom
Eine Frau des Leidens auf einer Stufe mit Petrus

Papst Benedikt würdigt Anna Schäffer bei der Heiligsprechung als "leuchtendes Vorbild"

21.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:55 Uhr

 

Rom (DK) Die Pilger aus Bayern sind Frühaufsteher. So ergattern sie an diesem Sonntagmorgen auf der Piazza San Pietro in Rom natürlich die besten Plätze. Wenige Meter vor dem Altar wehen die weiß-blauen bayerischen Fahnen. Aber an diesem Tag dominiert Weiß-rot. Schals in dieser Farbkombination baumeln um die Hälse der meisten Gläubigen im bayerischen Block.

Das Tuch trägt eine Aufschrift: "Jesus Christus - die Sonne meines Lebens." Der schlichte und dennoch eindringliche Satz stammt aus dem Munde einer einfachen Frau. Anna Schäffer hat nie Theologie studiert, doch ihre christlichen Lebensweisheiten gründen tief. Der Mystikerin aus Mindelstetten im Kreis Eichstätt erfährt an diesem Sonntag die höchste Ehre, die einem Katholiken auf Erden zuteilwerden kann. Anna Schäffer wird in Rom von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen. Die Leidensfrau aus Oberbayern darf ab sofort in einem Atemzug mit den Heiligen der Weltkirche genannt werden, beginnend mit Petrus und Paulus.

Die kolossalen Statuen der beiden Kirchenväter wachen über den Petersplatz, wo die Heiligsprechung während einer Messe vorgenommen wird. Rund 80.000 Gläubige aus der ganzen Welt sind angereist. An ihren bunten Tüchern und Fahnen lässt sich erkennen, welche der Seligen, die an diesem Tag zu Heiligen erklärt werden, sie verehren. Deren riesengroße Bilder hängen an der Fassade des Petersdoms, dessen helle Säulen in der warmen Morgensonne leuchten.

Da in Rom derzeit die Bischofssynode tagt, sind noch mehr hohe geistliche Würdenträger zugegen als gewöhnlich. Der Papst wird flankiert von über 50 Kardinälen, mehr als 100 Bischöfen und etwa 1000 Geistlichen. Denn mit Anna Schäffer werden noch sechs weitere Selige zu Heiligen erhoben: Jacques Berthieu aus Frankreich, Pedro Calungsod von den Philippinen, Giovanni Battista Piamarta aus Italien, Marianna Cope aus den USA, Maria Carmen Sallés y Barangueras aus Spanien und Kateri Tekakwitha aus Kanada. Mit leiser Stimme stellt der Heilige Vater alle vor und erläutert ihr Wirken. Immer wieder brandet Beifall auf. Doch bei Anna Schäffer ist der Jubel auf dem Petersplatz am lautesten.
 

Zweimal macht sich der Papst auf den beschwerlichen Weg von seinem mit dunkelrotem Samt überwölbten Thron zu dem ebenfalls überdachten Altar: für die Begrüßung und die Wandlung. Zwei Helfer stützen den Pontifex Maximus links und rechts, als er die Treppen des Petersplatzes hinabsteigt und mit kleinen Schritten über den roten Teppich geht. Am Altar bewegt sich der Papst aber ohne fremde Hilfe.

Die hohe Geistlichkeit sitzt rechts zu Füßen des Herrschers über mehr als eine Milliarde katholische Christen, die Politik links. Als Vertreterin der bayerischen Staatsregierung ist Europaministerin Emilia Müller (CSU) zugegen, die SPD hat den früheren Fraktionschef Albert Schmid entsandt. Der Eichstätter Landrat Anton Knapp ist ebenso dabei wie der Mindelstettener Bürgermeister Josef Kundler (beide CSU). Der bayerische Sparkassenpräsident Theo Zellner lässt sich das Jahrhundertereignis ebensowenig entgehen wie die Regensburger Fürstin Mariae Gloria von Thurn und Taxis.

Als die frohe Kunde von Anna Schäffers Heiligsprechung kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres publik wurde, war Gerhard Ludwig Müller noch Bischof von Regensburg. Inzwischen wurde er zum mächtigen Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation ernannt und zum Erzbischof befördert. Der hoch aufgeschossene Rheinländer sitzt sogar in der Reihe vor den Kardinälen. Beim Heiligsprechungs-Gottesdienst zählen neben Müller noch der Regensburger Diözesan-Administrator Wilhelm Gegenfurtner, der für den Selig- sowie Heiligsprechungsprozess zuständige Domvikar Georg Schwager und der Mindelstettener Pfarrer Johann Bauer zu den Konzelebranten. Die Fürbitten liest Rosemarie Kiluschik, die Mesnerin der Mindelstettener Wallfahrer. Zudem wirken in Person von Paola und Erwin Schäffer sogar noch zwei Verwandte der im Jahr 1925 gestorbenen Anna mit. Deren Heimatort Mindelstetten, den sie Zeit ihres Lebens kaum verlassen hat, gehört seit der Gebietsreform zwar zum Landkreis Eichstätt, allerdings zur Diözese Regensburg. Für die Domstadt an der Donau ist die Dulderin aus dem Dorf die erste neue Heilige seit fast 1000 Jahren.

Anna habe nach einem Unfall, bei dem sie entsetzliche und schmerzhafte Verbrennungen erlitt, mit ihrem Schicksal gehadert, sagt Benedikt XVI. auf Deutsch. „Doch dann verstand sie ihre Situation als liebevollen Ruf des Gekreuzigten in seine Nachfolge.“ Anna sei für viele Ratsuchende „zu einem Spiegel der Liebe Gottes und einem leuchtenden Vorbild“ geworden. „Ihr Krankenlager wurde zur Klosterzelle und ihr Leiden zum Missionsdienst.“

Die sieben neuen Heiligen seien unterschiedlicher Herkunft, Sprache sowie Nation und entstammten verschiedenen Gesellschaftsschichten, erklärt der Stellvertreter Gottes auf Erden. Dennoch sei ihnen gemeinsam, dass sie aus Liebe zu Christus „ihr Leben großherzig hingegeben“ hätten.

Nach der knapp zweieinhalbstündigen Messe besteigt der Papst ein offenes Papamobil mit dem Kennzeichen SCV 1. Flankiert von acht Sicherheitsbeamten, rollt das Fahrzeug im Schritttempo durch die Massen der Gläubigen. Die mächtigen Glocken des Petersdoms läuten. Als sich der bayerische Papst der rot-weiß-blauen Kolonie nähert, brandet ohrenbetäubender Jubel über das weite Rund des Petersplatzes.