München/Altmannstein
Rollender Protest der Landwirte

22.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:07 Uhr
1500 Traktoren waren nach Veranstalterangaben gestern in der Landeshauptstadt. −Foto: Ammer

München/Altmannstein (DK) An die 1500 Traktoren haben gestern die Landeshauptstadt in Teilen lahmgelegt. Tausende Landwirte protestierten am Münchner Odeonsplatz für eine größere Wertschätzung ihrer Arbeit und Produkte und gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Um mit dem Traktor pünktlich vor Ort zu sein, mussten viele Demonstranten schon frühmorgens los. Wir haben einen von ihnen begleitet.

Lichter schälen sich aus der Dunkelheit. Auf dem Kollerhof von Rainer Wagner in Altmannstein im Landkreis Eichstätt herrscht an diesem frühen Morgen schon lange Betrieb. In einer Gruppe stehen Männer zusammen, herausgeputzt in Lederhosen und Jankern. Die Scheinwerfer ihrer Traktoren erhellen den Platz. Sie sind bereit - bereit, für ihre Sache einzutreten, bereit, aufzubrechen. Denn München ist weit weg, ganz besonders dann, wenn man über Landstraßen mit 30 Kilometern pro Stunde unterwegs ist. Doch das nehmen die Landwirte in Kauf. Sie wollen sich zeigen, sich und ihre Arbeit, wollen um Verständnis werben, um Anerkennung für ihre Produkte und sie wollen in Dialog treten - mit Politik, Gesellschaft und Verbrauchern. Dafür fahren sie gerne nach München - auch mal mit dem Schlepper.

Irgendwo zwischen Pförring und Pfaffenhofen geht langsam die Sonne auf. Weitere Landwirte haben sich in die Kolonne eingereiht. Wer mit dem Auto in dieselbe Richtung will, muss an diesem Tag etwas Zeit einplanen, um alle Traktoren zu überholen. Ein Mann deutet mit dem Daumen nach oben und zieht vorbei, eine Frau winkt. An einer Bushaltestelle starren Schüler dem ungewöhnlichen, stetig wachsenden Zug der Landmaschinen hinterher.

"Wahnsinn", staunt Rainer Wagner, der mit seinem gelben Schlepper die Spitze aus Richtung Pförring bildet. Die Beteiligung sei überwältigend. Dann klingelt sein Handy. Ob er etwas langsamer tun könne, fragt ein Fahrer weiter hinten. Kein Problem. Wagner nimmt den Fuß leicht vom Gas. 34 statt 39 zeigt der Tacho jetzt. Noch 44 Kilometer bis München.


Wer sich an diesem Tag im Umfeld der Landeshauptstadt aufhält, kann sich ihnen wohl kaum entziehen: Aus allen Richtungen strömen die Landwirte auf ihren Maschinen heran. Eine Mobilisierung, die binnen weniger Tage stattgefunden hat. Es ist nur knapp zwei Wochen her, dass ein zehnköpfiges verbandsunabhängiges Team aus Landwirten begann, die Protestaktion für München zu organisieren. Einer davon ist Rainer Wagner. Aufgewachsen ist er auf dem elterlichen Bauernhof. "25 Kühe haben damals die Familie ernährt, das könnte man sich heute nicht mehr vorstellen", erzählt er. Ein besonderes Anliegen ist ihm wie allen Demonstranten an diesem Tag der Dialog. Die negative Stimmungsmache gegen Landwirte liegt Wagner schwer im Magen, die regionalen Qualitätsprodukte fänden häufig keinen Anklang beim Verbraucher, der dann doch lieber auf die billigen Waren im Supermarkt zurückgreife. "Und wenn von einem Mastschwein fünf Euro übrigbleiben, kann das keine Familie ernähren."

Der Zug der Traktoren ist von Ampeln auseinandergezerrt worden. Als Wagner mit seinem gelben "Kollerhof-Truck" auf den Odeonsplatz rollt und ihn in einer langen Reihe parkt, haben viele die Stadtgrenze noch lange nicht erreicht. Wieder andere sind schon seit Stunden da.

Einer von ihnen ist Milchviehhalter Xaver Pfaller aus dem Altmannsteiner Ortsteil Thannhausen. Er hat den Wagen gebracht, der den Rednern als Bühne dient. Und er ist dafür sehr früh aufgestanden, denn bei ihm - wie bei vielen hier - geht es nicht vom Bett unter die Dusche und hinters Lenkrad, sondern erst mal in den Stall. Die Kühe müssen gemolken werden. Sonntags, an Weihnachten, am Geburtstag - und eben auch, wenn der Landwirt in München demonstriert. "Es ist richtig stark, ich habe nicht geglaubt, dass so viele kommen. Man merkt, dass ihnen das Thema am Herzen liegt", freut er sich mit Blick auf den mit jeder Minute voller werdenden Platz. Pfaller geht das oftmals negative Bild der Landwirte gegen den Strich. "Die Bezeichnung Giftspritzer ist persönlich angreifend." Auch bei den Maßnahmen aus der Politik fordern die Landwirte mehr Mitspracherecht.

"Düngeverordnung, Agrarpaket, alles wird über unsere Köpfe hinweg entschieden", klagt Michael, ein Schweinehalter und Ackerbauer aus dem Landkreis Pfaffenhofen, der aus Angst vor Anfeindungen seinen Nachnamen nicht nennen will. Gesetze und Vorschriften würden ohne fachlichen Beistand aus der Landwirtschaft eingeführt - "dabei sind wir doch aufgeschlossene Leute". Dadurch, dass die Höfe immer weniger würden, gehe auch der Bezug der Menschen zur Landwirtschaft zunehmend verloren, fürchtet der Landwirt. Den kleinen Bauern aus der Nachbarschaft gibt es dann nicht mehr. "Damit geht Wissen verloren." Auch der Pfaffenhofener hat seinen Traktor auf dem Odeonsplatz geparkt. "Damit wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es uns noch gibt."

Und mehr noch: Eine Bäuerin aus dem Allgäu erzählt von wahren Existenzängsten. "Ich weiß nicht, wie es weitergeht, wir können Gülle und Mist nicht mehr ausbringen." Dafür müssten sie Dünger zukaufen wegen der entsprechenden Verordnung. "Die Politik lässt uns im Stich", klagt sie. Und für Hofläden oder Direktvermarktung gebe es Auflagen, die eine solche fast unmöglich machten. "Viele Kleine geben auf, weil sie trotz Arbeit an 365 Tagen im Jahr nicht mehr davon leben können."

Die Familien ernähren können, den Kindern eine Zukunft am Hof bieten - diese Sätze fallen öfter an diesem Tag. Gerne seien die Bauern zu mehr Naturschutz bereit, aber sie müssten entlohnt werden, fordern auch die beiden Redner der Landwirte, Sebastian Dickow und Georg Mayerhofer. Doch auch das Vertrauen an die Bauern müsse wiederhergestellt werden. "Wir müssen uns aufeinander zubewegen", sind sie sicher. In Dialog treten, sich mit an den Tisch setzen - und dass diesem Reden auch Taten folgen, das wünschen sich die Landwirte.

Die Demonstration ist friedlich, doch die Stimmung köchelt am Odeonsplatz, als Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) die Bühne betritt. Ein Schritt, den ihr alle schon einmal hoch anrechnen. "Das Bauernbashing muss aufhören", fordert auch Kaniber. Es gebe nichts Schlimmeres, als die tägliche Diffamierung. Doch sie fängt sich neben viel Applaus auch Buhrufe ein, als sie den Kurs ihrer Partei beim Volksbegehren sowie bei der Düngeverordnung verteidigt. Dennoch sind ihr viele Probleme der Bauern bewusst, zum Beispiel wenn es um weitere Verschärfungen der Vorschriften durch den Bund geht. Die Bauern könnten nicht alle zwei bis drei Jahre neue Ställe wegen neuer Verordnungen bauen. Und was Handel und Verbraucher betrifft, spricht sie gar von einer "perversen Gesellschaft". Von einer, die nicht bereit sei, Geld für gute Lebensmittel auszugeben. Dazu komme die Doppelmoral: sich für den Regenwald einsetzen und argentinisches Rindfleisch essen. Dabei gebe es bestes Rindfleisch aus Bayern. Kaniber lässt den Blick über den vollen Odeonsplatz schweifen. "Ich war heute Morgen richtig stolz, als die ganzen Schlepper aufgefahren sind."

Und man kann es ihr nicht verdenken, es ist ein ganz besonderes Bild: Hunderte von Traktoren reihen sich beidseitig an der Ludwigstraße auf, die Kulisse untermalt das Läuten großer Kuhglocken in der Menge, dazu Tausende von Menschen, viele in Tracht, die ihre Transparente hochhalten: "Wir lieben Lebensmittel, du auch?"

Isabel Ammer