Seit 17 Jahren vermisst
Die Hoffnung stirbt zuletzt

22.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:35 Uhr
 Sabine P. −Foto: privat

Ingolstadt - Sabine P. aus Ingolstadt ist seit 17 Jahren vermisst, mit ihr verschwand ihr Freund Eugen S. Sie sind vermutlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Die Mutter der Frau glaubt aber weiter daran, ihre Tochter vielleicht lebend wiederzusehen.

Alle Vernunft und Logik sprechen dagegen, kaum einer würde noch irgendetwas darauf geben. Aber Johanna Z. aus Ingolstadt ist Mutter, und Mütter klammern sich an jeden Strohhalm, wenn es um das Schicksal ihrer Kinder geht. Im September sind es 17 Jahre gewesen, dass ihre Tochter Sabine P. (23) als vermisst gilt, von heute auf morgen, einfach so. Spurlos verschwunden, wie es in solchen Fällen nicht selten heißt, hier trifft es im wahrsten Sinne des Wortes zu.

Mit der jungen Frau fehlt auch ihr Freund Eugen S. (21). "Es kann doch nicht sein, dass man überhaupt nichts mehr von einem Menschen findet", sagt Johanna Z. "Irgendetwas bleibt doch immer, irgendeinen Hinweis muss es doch geben, wo sie sein könnten. Warum nicht bei meiner Sabine? Es muss doch einen geben, der was weiß."

Im Leben der Vermissten war es vor ihrem Verschwinden nicht mehr rund gelaufen, sie war mehr und mehr vom rechten Weg abgekommen. Mit 17 war die angehende Zahnarzthelferin daheim ausgezogen und lebte fortan bei ihrem damaligen Freund im Ingolstädter Südostviertel. Der Mann soll mit Drogen zu tun gehabt haben, "ich glaube, er ist inzwischen gestorben", sagt Sabines Mutter. Die Tochter war wohl ebenfalls immer tiefer in die Rauschgiftszene abgerutscht.

Mit Drogen erwischt

"Wenn sie mal aus dem Haus sind, kriegst du halt nicht mehr alles mit", sagt Johanna Z. Sie kämpfte damals mit einer schweren Krankheit, da ging es ums Überleben, und es blieb kaum Energie, sich auch noch um die längst erwachsene Tochter zu kümmern. "Ich habe aber immer darauf gedrängt, dass sie ihre Ausbildung zu Ende bringt." Sabine schafft den Abschluss, gleitet jedoch immer mehr ab. Sie arbeitet eine Zeit im Großhandel, wird mit Drogen im Firmenauto erwischt, fliegt raus, sitzt zwischendurch auch mal im Gefängnis. Kurz vor ihrem Verschwinden hat sie gerade einen neuen Freund gefunden, Eugen S. Auch er ein "Giftler", wie sie das bei der Polizei nennen. Mit ihm wollte die junge Frau am 20. September 2002, an ihrem 23. Geburtstag, zum Essen gehen. "Deswegen ist sie nicht, wie sonst an diesem Tag, zu uns gekommen. Wir haben aber telefoniert", erzählt Johanna Z. Es sollte das letzte Gespräch zwischen Mutter und Tochter sein.
 

Anfang Mai 2020 hat ein Spaziergänger in einem Waldstück bei Kipfenberg (Landkreis Eichstätt) Teile eines menschlichen Skeletts gefunden. Nach Polizeiangaben handelt es sich um das seit 2002 vermisste Pärchen, um Sabine P. und Eugen S.


Fünf Tage später steht der Geburtstag von Sabines Bruder an, doch die Schwester bleibt aus, obwohl sie sich angekündigt hatte. Da ahnt die Familie bereits, dass etwas nicht stimmt. "Mein Sohn hat Vermisstenanzeige erstattet, aber die Polizei hat das erst nicht ernst genommen. Die kommt schon wieder, haben sie gesagt." Doch Sabine bleibt weg. Johanna Z. hofft und bangt, "es war eine schlimme Zeit". Als die Vermisstensuche endlich anläuft, verliert sich die Spur rasch. Sabine und Eugen wurden zuletzt am 21. September 2002 im "Film-Café" im Ingolstädter Nordviertel gesehen, etwa um 2 Uhr noch einmal mit einem Rucksack vor Eugens Wohnung. Seither gibt es kein Lebenszeichen mehr, keinen Anruf und keine Kontobewegung.

Methoden wie in Chicago

Der gesunde Menschenverstand sagt Johanna Z., dass ihre Tochter wohl tot ist. Möglicherweise umgebracht von jemandem aus dem Drogenmilieu, damals stark von Russlanddeutschen kontrolliert. Eugen hatte Schulden in der Szene, die solche Ausstände oft überaus brutal eintrieb - da wurde ein säumiger Zahler schon mal malträtiert oder angekettet über Nacht in eine kalte Garage gesperrt. Methoden wie in Chicago im beschaulichen Ingolstadt. "Ein Polizist hat mal zu mir gesagt: ,Ihre Tochter ist doch schon tot, erschossen und irgendwo eingemauert.' Das hat mir sehr weh getan", sagt Sabines Mutter. "Solange sie ihre Leiche nicht gefunden haben, gebe ich die Hoffnung nicht auf."

Obwohl sie inzwischen umgezogen ist, hat die 62-Jährige ihre Telefonnummer stets behalten und sich einen Anrufbeantworter gekauft. "Sabine kann mich immer erreichen, wenn es sein sollte." Anfangs zuckte sie bei jedem Klingeln zusammen. "Vielleicht hat man sie ja verschleppt, und sie muss im Rotlichtmilieu die Schulden von Eugen ableisten?" Kein schöner Gedanke, aber doch eine Option, die ein Wiedersehen nicht ausschließt.

Grab im Westfriedhof geöffnet

Im Jahr nach dem Verschwinden des Paares erhält die Kripo Hinweise, wonach es ermordet worden sei. Vier Beschuldigte in Drogenverfahren berichten unabhängig voneinander davon, Rauschgifthändler hätten die zwei Ingolstädter getötet, weil Eugen seine Schulden bei ihnen nicht bezahlt hatte. Tatort soll an der deutsch-holländischen Grenze gewesen sein, doch recht viel mehr lässt sich nicht herausfinden. Im Frühjahr 2009 kommt noch einmal Bewegung in die Sache, als ein Informant den Ermittlern erzählt, Eugen und Sabine seien umgebracht und entsorgt worden, wie das in Russland üblich sei: Man habe die Leichen in offenen Gräbern verschwinden lassen, wo tags darauf offizielle Beerdigungen geplant waren. Die Polizei lässt daraufhin ein Grab am Ingolstädter Westfriedhof öffnen, das infrage käme, aber es findet sich keine "Doppelbelegung".

Also hofft Johanna Z. weiter. Ihre Sabine ist heuer 40 geworden, sollte sie noch leben. "Wie sie wohl aussieht? Ob ich sie noch erkennen würde?" Gedanken einer Mutter, die sich an jedem Strohhalm festhält. "Ich denke noch jeden Tag an sie. In der Früh schon, ihr Bild steht an meinem Bett." Manchmal meint sie, Sabine zu sehen, wenn eine blonde Frau an ihr vorbeihuscht. Aber es ist bisher leider immer nur Wunschdenken gewesen.

Horst Richter