Die Spur führt zum Münster

In der Ingolstädter Kupferstraße 18 lebte einst Marieluise Fleißer - welche Geschichte das Haus hat, ahnte sie wohl nicht

22.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:24 Uhr
Hausnummer 16 und 18 in der Ingolstädter Kupferstraße haben eine Geschichte, die lange unentdeckt blieb. Ein Kreuz im Giebel und andere Hinweise halfen jetzt, sie zu entschlüsseln. −Foto: Hauser

Das mittelalterliche Gebäude in der Ingolstädter Kupferstraße 18 kennen Lokalhistoriker und Literaturfreunde als das "Fleißerhaus".

Hier kam die Schriftstellerin Marieluise Fleißer 1901 auf die Welt. Ihr Großvater betrieb im Erdgeschoss eine Schmiede. Er hatte das Haus 1861 gekauft. Als Marieluise drei Jahre alt war, übernahm ihr Vater die Werkstatt, die Schmiede und den Eisenhandel. Für die kleine Marieluiese waren die Werkstatt und die umliegenden Handwerksbetriebe ein großer Abenteuerspielplatz. In dem Bändchen "Aus der Kupferstraße" kann man einige ihrer Erlebnisse aus jener Zeit nachlesen.

Lebhafte Kindheitserinnerungen an das Haus hat auch Hermann Widmann. Er ist der Neffe der Fleißer und hat ebenfalls seine Kindheit und Jugend in dem Haus verbracht. Es gibt wohl niemanden, der das Haus so gut kennt wie er. Er weiß noch genau, wo der handbetriebene Blasebalg stand, mit dem das Schmiedefeuer angefacht wurde und hat noch das sonore Klingen der Schmiedehämmer im Ohr, die ihn an Glockenschläge erinnert haben. Er weiß auch, in welchem Zimmer Tante Luise gewohnt hat und in welchem Türrahmen die Kinder einen Vorhang für ihr Marionettentheater aufgehängt haben. Trotzdem hatte das Haus selbst für Widmann noch eine Überraschung parat.

Im Zuge der Sanierung des Gebäudes stießen die Architekten 2010 auf einige Seltsamkeiten. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass das Fleißerhaus und der dazugehörige Nachbarbau aus dem frühen 16. Jahrhundert stammen. Doch dann entdeckten die Experten Holzbalken, die nach dendrochronologischen Untersuchungen aus dem Jahr 1401 stammen. Das Haus ist demnach 100 Jahre älter als gedacht. Außerdem wurden im Hof Ofenkacheln gefunden, die einen geflügelten Löwen und ein Sonnensegel zeigen - Symbole des Königs von Frankreich. Diese Zeichen nutzte auch der Ingolstädter Herzog Ludwig der Gebartete, dessen Schwester mit dem französischen Herrscher verheiratet war. Was aber hatte der mit dem Handwerkerhaus in der Kupferstraße zu tun? Einmal aufmerksam geworden, fielen den Architekten und Widmann noch einige andere Merkwürdigkeiten auf: So ist in einem Giebel des Hauses ein Kreuz zu erkennen. Es musste also auch eine Verbindung zur Kirche geben.

Überhaupt der Grundriss der Wohnung: Der erste Stock ist geprägt von einem großen Raum, der - zumindest für die Entstehungszeit des Hauses - fast schon herrschaftlich genannt werden muss. Dazu die hochwertige Ausführung des Dachstuhls über zwei Stockwerke. In Anbetracht dieser Beobachtungen hegt Widmann einen Verdacht: Das Haus war wohl die Ingolstädter Münsterbauhütte. Zeitlich würde es passen. Die Obere Pfarr wurde im Auftrag des Herzogs 1407 gegründet. Bis 1525 wurde an dem Gotteshaus gebaut. Nach der Fertigstellung der Kirche veränderte sich auch in der Kupferstraße einiges. Das Doppelhaus wurde zu einem Bürgerhaus samt Schlosserei umgebaut. Gut 250 Jahre später beginnt hier die Familiengeschichte der Fleißers in der Kupferstraße. Vermutlich ahnten sie nicht, auf welch geschichtsträchtigem Boden sie lebten. Sonst - wer weiß - hätte Marieluise Fleißer aus dem Stoff vielleicht ein Theaterstück gemacht.

jhh

ZUR SERIE
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, entdeckt manchmal rätselhafte Details in den Straßen, an Gebäuden und Plätzen. In einer Serie spüren der DK und seine Heimatzeitungen einigen dieser Geheimnisse nach. Die Geschichte über das Kreuz im Giebel wird noch einmal ausführlicher in dem Buch "Ingolstädter Geheimnisse", das der DONAUKURIER und der Verlag Bast Medien herausgegeben haben, erklärt. Es kostet 19,90 Euro und ist in den DK-Geschäftsstellen und im Buchhandel erhältlich.