Das Geheimnis der Vogelinsel

Gänse, Kormorane und Reiher tummeln sich im Ingolstädter Stausee auf historischem Grund

09.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:16 Uhr
Ein Schutzgebiet: Friedlich liegt die Vogelinsel im Stausee westlich von Ingolstadt. Ihr Ursprung ist jedoch kriegerischer Natur. −Foto: Schalles

Aus dem Stausee im Westen Ingolstadts ragt eine Insel. In Ingolstadt wird sie nur die "Vogelinsel" genannt - und tatsächlich bewohnen sie vor allem Kormorane, Enten, Reiher, Möwen und ab und zu ein Biber. Zugvögel nutzen die Insel, einige benachbarte kleinere Eilande und den See als Rastplatz auf ihren ausgedehnten Zügen um die halbe Welt. Manche aus subpolaren Gebieten überwintern hier.


Menschen betreten das Schutzgebiet nur in Ausnahmefällen. Ornithologen beobachten vom Ufer aus mit Spektiven und Ferngläsern, was sich alles auf der Insel tut. Viele wissen dabei gar nicht, dass sich auch unter der Insel Interessantes verbirgt, denn sie ist ein Relikt der Ingolstädter Festungsgeschichte. Einen Hinweis darauf bekommt, wer sich die Insel einmal auf einer Online-Karte ansieht. Da heißt die Vogelinsel nämlich nicht Vogelinsel sondern "Uferbatterie F".

Tatsächlich ragen hier die Überreste einer Festungsanlage aus dem Wasser, die um 1860 vor den Toren der Stadt errichtet worden ist. Im Wesentlichen bestand sie aus einem Erdwall und einem Unterstand. Sollte Ingolstadt bedroht werden, hätte die Stellung mit rund 225 Infanteristen und vier Geschützen ausgestattet werden sollen. Den Stausee gab es damals noch nicht, die Festung wurde direkt am Ufer der Donau angelegt.

Die Uferbatterie F, manchmal auch Festungswerk 130 genannt, war Teil des so genannten Vorwerkegürtels, einem Ring von mehreren Festungsanlagen, die im Abstand von rund 2,5 Kilometern um die Stadt herum angelegt wurden. Die Ingolstädter - noch heute werden sie die "Schanzer" genannt - waren immer bemüht, ihre Stadt als eine Festung auszubauen. Natürlich auch um das Jahr 1860, als im Konflikt um die Vorherrschaft im Lande ein militärischer Konflikt zwischen dem Deutschen Bund unter der Führung Österreichs und den Preußen heraufzog.

Die ständige Verbesserung von Belagerungswaffen zwang die Schanzer, den Verteidigungsring um ihre Stadt immer weiter und weiter zu ziehen. Da die Geschütztechnik aber schneller voranschritt als die Ingolstädter bauen konnten, waren sie mit ihren Festungsanlagen meist hinterher und mussten, kaum war der eine Ring fertiggestellt, schon wieder mit dem nächsten beginnen. Auch am Vorwerkegürtel, zu dem die Uferbatterie F gehörte, bauten die Ingolstädter noch, als die Preußen den Krieg im Jahr 1866 schon gewonnen hatten. 1867 wurde entschieden, den Festungsring dennoch fertigzubauen.

Kurz darauf kamen so genannte gezogene Geschütze auf, die eine deutlich größere Reichweite hatten als die bisherigen Kanonen. Die Ingolstädter begannen deswegen 1868 damit, einen weiteren Festungsring - diesmal mit einem Durchmesser von 15 Kilometern - um die Stadt herum zu errichten. 1937 verlor Ingolstadt schließlich den Status als offizielle Landesfestung. Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Ingolstädter Festungsbauten als Munitionslager genutzt. Nach dem Krieg sprengten die Alliierten die meisten von ihnen.

Die Uferbatterie F blieb bestehen. 1972 wurde sie vom Wasser eingenommen, als die Donau zur Stromgewinnung aufgestaut wurde. Nur das Dach schaute noch aus den Fluten. Über die Jahre sammelte sich hier Erde an, Büsche und Bäume wuchsen und Enten und Gänse übernahmen das Kommando. Sie machten aus dem Festungswerk 130 die Vogelinsel.

Johannes Hauser


ZUR SERIE
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, entdeckt manchmal rätselhafte Details in den Straßen, an Gebäuden und Plätzen. In einer Serie spüren der DONAUKURIER und seine Heimatzeitungen einigen dieser Geheimnisse nach. Die Geschichte über die Vogelinsel hat die Ingolstädter Lokalredaktion schon einmal im Rahmen ihrer Serie "Irgendwie merkwürdig" beleuchtet. Sie findet sich auch in dem Buch "Ingolstädter Geheimnisse", das vom DK und dem Bast-Verlag herausgegeben wurde.