Ingolstadt
Sommermärchenhaft

Hoch über dem Ingolstädter Rathausplatz gibt ein steinerner Fußball Rätsel auf

02.10.2018 | Stand 02.12.2020, 15:33 Uhr
Hohe Fußballkunst: Es sieht so aus, als könnte der kleine Fußball jeden Moment von der Balustrade des Pfeifturms fallen. −Foto: Johannes Hauser

Den besten Blick über die Ingolstädter Altstadt bietet sicher der Pfeifturm unweit des Rathausplatzes. Das muss er auch, schließlich tat hier über Jahrhunderte der städtische Türmer seinen Dienst. Seine Aufgabe war es, nach Feinden oder Bränden in der Stadt Ausschau zu halten.

Mit einem lauten Pfiff machte er die Menschen am Fuße des 63 Meter hohen Turms auf die Gefahr aufmerksam und zeigte den Löschtrupps mit verschiedenfarbigen Flaggen an, wo in der Stadt ein Feuer ausgebrochen war. Jedem Quartier war eine eigene Farbe zugeordnet. Vermutlich wurde das gotische Bauwerk, das heute eines der Wahrzeichen der Stadt ist, gemeinsam mit der benachbarten Moritzkirche um das Jahr 1234 errichtet. Damals gab es in der Stadt fast nur Holzhäuser, ein Feuer konnte verheerende Auswirkungen haben.

Auch die Stadtpfeifer - offizielle Musiker, die unter anderem bei Festen aufspielten - musizierten regelmäßig vom Pfeifturm aus. Ihre Aufgabe war unter anderem in der offiziellen Stadtpfeifordnung aus dem Jahr 1559 festgeschrieben. In Ingolstadt wird diese Tradition noch heute gepflegt. Von ihnen und dem lauten Alarmpfiff des Türmers dürfte der barocke Bau seinen Namen haben. Bis 1938 lebte in der Turmstube des Pfeifturms ein Türmer mit seiner Familie. Dann machte die Einführung von Brandmeldeanlagen das Amt des Türmers überflüssig.

Wer heute die 201 Stufen den Pfeifturm hinauf erklimmt, tut dies meist, um den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Hinüber zum Neuen Schloss, über das Glacis und die Donau bis zum ausgedehnten Werkgelände von Audi. Auch der Tower des Flugplatzes in Manching ist zu sehen und bei Föhn erscheinen die Alpen am Horizont. Einem Besucher, der dagegen senkrecht nach unten schaut, um etwa das Treiben auf dem Rathausplatz zu beobachten, fällt an der südöstlichen Ecke des Steingeländers vielleicht etwas Kurioses auf: Hier liegt ein kleiner Fußball auf dem Steinsims. Wie ist er da bloß hingekommen?

Die Antwort auf diese Frage führt ins Allgäu. Und in das Jahr 2006. Damals mussten Teile der steinernen Balustrade, die um den Turm herumführt, erneuert werden. Den Auftrag bekam Steinmetz Tilo Findeisen aus Weiler-Simmerberg im Kreis Lindau. Er und ein Kollege arbeiteten hoch über dem Trubel des Sommermärchens, während unten auf dem Rathausplatz Fußballfans die Spiele der Weltmeisterschaft verfolgten. Die Handwerker hatten Logenplätze mit Blick auf die Großbildleinwand. "Ab und zu haben wir schon einen Blick riskiert, aber wir mussten ja arbeiten", erinnerte sich Findeisen im Gespräch mit unserer Zeitung. Wenn dann allerdings ein Tor für die deutsche Mannschaft fiel, wurde auch auf Ingolstadts höchsten Tribünenplätzen laut gejubelt.

Bei der Bearbeitung des historischen Gurtgesimses kam Findeisen die Idee mit dem Ball. Scherze dieser Art sind unter Handwerkern durchaus üblich. Seit Jahrhunderten verstecken sie kleine Hinweise für die Nachwelt in Gemälden, an Bauwerken und Fassaden. Und so setzten die beiden Allgäuer die schwarz-weiße Kugel an den Pfeifturm. Dabei haben die Steinmetze darauf geachtet, den Ball nicht zu groß zu machen und ihn so auf dem Sims zu platzieren, dass er das Gesamtbild des Turms nicht beeinträchtigt. "Er ist ein kleiner Witz zur Erinnerung an eine schöne Arbeit", erklärte Findeisen - und außerdem ein Rätsel für so manchen Pfeifturm-Besucher.
 
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, entdeckt manchmal rätselhafte Details in den Straßen, an Gebäuden und Plätzen. In einer Serie spüren der DONAUKURIER und seine Heimatzeitungen einigen dieser Geheimnisse nach. Die Geschichte über den Fußball am Pfeifturm hat die Ingolstädter Lokalredaktion schon einmal im Rahmen ihrer Serie "Irgendwie merkwürdig" beleuchtet. Sie findet sich auch in dem Buch "Ingolstädter Geheimnisse", das jetzt vom DK und dem Bast-Verlag herausgegeben wurde.