Durch einen Krisendienst
Patienten werden "wie Straftäter behandelt"

Für das neue Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes hagelt es Kritik von allen Seiten

17.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:33 Uhr

Durch einen Krisendienst (in jedem Regierungsbezirk, rund um die Uhr durch eine einheitliche Telefonnummer erreichbar) sollen Menschen in psychischen Krisen stärker als bislang unterstützt werden - mit dem Ziel, dass es zu weniger Zwangseinweisungen in Einrichtungen kommt als bisher.

"Die hohe Zahl gerichtlicher Unterbringungen psychisch kranker Menschen in Bayern", so heißt es in der Begründung für ein neues Gesetz, "erfordern eine dringliche und grundlegende Überarbeitung des bisherigen bayerischen Unterbringungsgesetzes (UnterbrG) von 1992". Pro 100000 Einwohner gibt es in Bayern, so zeigen es Zahlen aus dem Jahr 2011, weit über 200 Zwangseinweisungen - im Bundesdurchschnitt lag die Zahl mit 165 deutlich niedriger.

Weniger gut hat es die Arbeits- und Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU): Ihr Ressort verantwortet den anderen Teil des neuen bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (PsychKHG), das das bisherige Unterbringungsgesetz ersetzen soll. Ihr machen Kritiker den Vorwurf, psychisch Kranke würden in Bayern künftig wie Straftäter behandelt.

So hieß es bisher im Unterbringungsgesetz: "Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus oder sonst in geeigneter Weise untergebracht werden. "

Im neuen PsychKHG soll es künftig heißen: "Wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, Rechtsgüter anderer, das Allgemeinwohl oder sich selbst erheblich gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen untergebracht werden", und: "Ziel der Unterbringung ist die Gefahrenabwehr. " Kritiker sehen damit die Hürde für eine Zwangsunterbringung deutlich herabgesetzt - bereits die Bedrohung von Rechtsgütern anderer reiche. Neu ist auch die Einführung einer zentralen "Unterbringungsdatei": Wer untergebracht wurde, dessen Daten, auch die medizinischen, werden fünf Jahre lang gespeichert und sollen den Behörden zugänglich sein. Gerade, was den Außenkontakt der Untergebrachten angeht, sieht das neue PsychKHG nach Ansicht von Kritikern harsche Regeln vor: "Zur Sicherung der Ziele der Unterbringung, aus Gründen der Sicherheit oder des geordneten Zusammenlebens in der Einrichtung können Besuche untersagt werden, davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucher durchsuchen oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände absuchen lassen, oder überwacht werden. " Auch "eine Überwachung und Aufzeichnung der Besuche mit technischen Mitteln ist zulässig". Zudem sollen die untergebrachte Person, ihre Sachen und ihr Wohn- und Schlafbereich durchsucht werden, zulässig sei auch "eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung".

Noch ist das Gesetz im Entwurfsstadium, heute soll es in erster Lesung im Landtag behandelt werden. Am 24. April startet dann die Expertenanhörung. Doch schon jetzt ist der Aufschrei von Kritikern laut: Das geplante Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz der Staatsregierung ist nach Einschätzung der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses des Bayerischen Landtags, Kathrin Sonnenholzner (SPD), "eine Katastrophe für die psychisch Kranken".

"Die Staatsregierung stellt die Grundrechte psychisch kranker Bürger zur Disposition", so Martin Hagen, Spitzenkandidat der FDP Bayern zur Landtagswahl. "Das Gesetz dient nicht der Hilfe, sondern der Stigmatisierung von psychisch Kranken. " Es könne nicht sein, dass etwa depressive Menschen künftig wie Straftäter behandelt würden.

"Erst das umstrittene Polizeiaufgabengesetz, jetzt das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Die Staatsregierung setzt ihren sicherheitspolitischen Amoklauf fort und will ihre Law-and-Order-Politik nun auch auf Kosten psychisch kranker Menschen forcieren", meint AfD-Landeschef Martin Sichert.

Eva Bulling-Schröter, designierte Landtags-Spitzenkandidatin der bayerischen Linken, findet: "Mit dem neuen Gesetz können psychisch Erkrankte nach Belieben weggesperrt und ihre Kommunikation überwacht werden. Die Besuche von Angehörigen oder Freunden werden stark eingeschränkt und videoüberwacht. Obendrein sollen die Diagnosen und Befunde an eine Zentralstelle weitergeben, fünf Jahre gespeichert werden. Diese hoch sensiblen Daten werden staatlichen Organen wie zum Beispiel der Polizei zur Verfügung gestellt. Die ärztliche Schweigepflicht sowie der Schutz der Krankenakten werden damit massiv aufgeweicht. "

Harsch ist auch die Kritik von Karl Vetter, gesundheitspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Freien Wähler: "Der Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz hat seinen Namen nicht verdient. Statt ein modernes Gesetz auf den Weg zu bringen, das Menschen in psychischen Krisen rasch wirksame Hilfen anbietet und die Entstigmatisierung psychisch Kranker voranbringt, steht der Gedanke der Gefahrenabwehr im Vordergrund. " Die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Schulze, befand gestern, "die Datensammelwut einer neuen Generation von CSU-Law-and-Order-Politikern darf nicht auch noch psychisch erkrankte Menschen in die Nähe von Straftätern rücken".

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte gestern, man wolle niemanden stigmatisieren. "Wir nehmen die Bedenken ernst. " Die Staatsregierung ist laut Söder "offen für Verbesserungen". Klar sei aber, dass der Schutz der Bevölkerung erhalten bleibe.

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