Nürnberg
Der neue Leitwolf

Mit fast hundert Prozent wird Söder auf CSU-Parteitag zum Spitzenkandidaten gewählt

17.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:03 Uhr

Nürnberg (DK) Knapp 35 Minuten hat Markus Söder geredet, den CSU-Parteitag mit einem fulminanten Auftritt gerockt, selbst die Söder-Skeptiker aus Oberbayern springen von ihren Plätzen. Jetzt ruft er Parteichef Horst Seehofer zu sich auf die Bühne. Der packt Söder energisch an der Hand, gemeinsam reißen sie die Arme in die Höhe zur finalen Triumphgeste. "Heute endet nichts, heute geht es weiter, wir können es gemeinsam schaffen!", ruft Markus Söder noch einmal den 900 Delegierten und Besuchern in der Nürnberger Messehalle zu, erntet donnernden Beifall.

Mit dem zweitägigen Parteitag, der am Samstag mit Söders Rede zu Ende geht, beginnt für die Christsozialen eine neue Ära. Mit fast hundert Prozent wird der bisherige Finanzminister für den Posten des Ministerpräsidenten nominiert, im ersten Quartal soll er das Amt von Seehofer übernehmen, die CSU als Spitzenkandidat in die schwierige Landtagswahl im kommenden Herbst führen. Holt er die CSU aus dem Tief und führt sie zur absoluten Mehrheit, dürfte er auch nach dem Parteivorsitz greifen.

Lange hatte sich Seehofer gesträubt, den Weg für den ehrgeizigen, machthungrigen Söder freizumachen. Seit Nürnberg ist klar: Der 50-jährige Franke ist der neue Leitwolf, der Blut geleckt hat. Der 68-jährige Seehofer bleibt zwar Parteichef - wird mit gerade noch akzeptablen 83,7 Prozent bestätigt und soll für die CSU bei den Sondierungen mit der SPD in Berlin die Kartoffeln aus dem Feuer holen.

Perfekt wurde die neue Harmonie nach dem jahrelangen, erbitterten Machtkampf auf dem Parteitag inszeniert. Die beiden hatten ausgeheckt, dass sie sich gegenseitig vorschlagen. Und so warb Seehofer, die Delegierten mögen "für meinen Freund Markus Söder" stimmen. "Er kann es, er packt es!" Einige in der Halle wollten ihren Ohren nicht trauen. Man möge es mit der Heuchelei nicht übertreiben, sagt eine Münchnerin. Statt Freundschaft steckt nüchternes Kalkül hinter Seehofers Teilrückzug und der Doppellösung: Sollten die beiden Alphatiere weiter gegeneinander intrigieren, könnte die CSU ihr Ziel, im Herbst die absolute Mehrheit zu verteidigen, abschreiben. Um sein politisches Erbe nicht zu verspielen, war Seehofer nichts übrig geblieben, als Söder zu weichen. Und so liegt über Seehofers Rede am Morgen schon ein Hauch von Abschied. Auch er bemühte das Wort der "neuen Ära". Es komme zu einer Trennung der Ämter, "aber die Aktionseinheit der CSU bleibt", beschwört er die Geschlossenheit und pocht auf seine Rolle als Parteichef. Ja, es habe "Friktionen" gegeben, der Schaden sei jedoch auf "den Effekt einer Knallerbse", beschränkt geblieben, versucht er den Streit zu bagatellisieren.

Steif, ja hölzern spricht er zu den Delegierten, versucht, die Schuld für die Wahlschlappe am 24. September Kanzlerin Angela Merkel in die Schuhe zu schieben. Wohlgesonnener wird das Parteivolk, als er über das soziale Herz der CSU redet und seine Wehmut über den baldigen Abschied aus dem Ministerpräsidentenamt erkennen lässt. Zum Abschluss gelingt es ihm doch noch, für Stimmung zu sorgen: "Wenn wir zusammenhalten, zieht uns niemand die Lederhosen aus" - das kommt prächtig an. Seit fast zehn Jahren ist Seehofer Ministerpräsident. Er hat inzwischen erkannt, dass die Bayern einen Wechsel wollen. Das müsse man halt akzeptieren.

Und Markus Söder, ist der fränkische Machiavelli der Richtige, die zerrissene Partei zu einen? Er selbst hegt nicht den geringsten Zweifel, und es gelingt ihm, mit einer kraftstrotzenden One-Man-Show viele seiner Skeptiker mitzureißen. Für alle hat er etwas parat. Den Stammtisch bedient er mit Islamkritik ("Der Islam hat die letzten 200 Jahre keine überragenden Beiträge für Bayern erbracht"). Mit Erinnerungen an den Tod seines Vaters auf einer Palliativstation lässt er es kräftig menscheln. Mit Attacken gegen die AfD markiert er den Kämpfer, der sich um diejenigen kümmert, die sich von der CSU nicht mehr vertreten fühlen. Und er haucht der verunsicherten Parteiseele wieder Mut ein: "Uns muss nicht bange sein vor 2018", donnert er in den Saal, er selbst werde sich für den Wahlsieg "zerreißen". Seit Edmund Stoibers Tagen als CSU-Chef habe niemand die Partei so mitgerissen, räumen selbst Seehofer-Leute in Nürnberg ein.