Neue Töne

Ein Kommentar von Wolfgang Weber

09.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:42 Uhr

Reichlich spät haben die sächsischen Sicherheitsbehörden bestätigt, dass es vor zwei Wochen in Chemnitz zu einem der schlimmsten antisemitischen Zwischenfälle der vergangenen Jahre kam. Am Rande der rechtsgerichteten Demonstrationen gegen Ausländer griff ein Dutzend mutmaßlicher Neonazis das koschere Restaurant "Schalom" an und verletzten den Eigentümer. Inzwischen hat sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erschüttert über die "schändliche Tat" geäußert.

Es zeige sich, "wie sehr sich da die Gewalt Bahn bricht". Das sind ganz neue Töne für den Christdemokraten, der bisher zu vielfach dokumentierten Übergriffen vor zwei Wochen in der Stadt nur behauptete: "Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd, keinen Progrom."

Vielleicht dämmert es Kretschmer allmählich doch noch, dass es eben nicht nur empörte Bürger waren, die damals geführt von AfD-Politikern und Pegida-Vertretern nach einem Gewaltverbrechen auf die Straße gingen, sondern eine aggressive, von gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremisten dominierte Menschenmenge. Wer versucht zu leugnen, dass aus deren Mitte ausländisch aussehende Menschen und Journalisten angepöbelt, verfolgt und misshandelt wurden, macht sich mitschuldig.

Das gilt auch für den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der Zweifel sät, ob ein Beweisvideo über die Verfolgung eines jungen Afghanen echt sein könnte und die bizarre These aufstellt, möglicherweise sollte mit "gezielten Falschinformationen" vom "Mord" in Chemnitz abgelenkt werden. Gemeint ist das Tötungsdelikt an einem 35-Jährigen, das den Vorwand für die Aufmärsche lieferte. Und das gilt auch für Bundesinnenminister Horst Seehofer, der nun zwar einen Bericht von Maaßen verlangt -- ihm aber weiter sein Vertrauen ausspricht und erklärt, er habe Verständnis, wenn sich Leute empören. "Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen - natürlich nicht gemeinsam mit Radikalen." Das sagte der CSU-Chef allerdings, bevor der Angriff auf das jüdische Restaurant bekannt wurde.