München
Staatsregierung im Atomdilemma

05.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:20 Uhr

Hat die Atomkraft doch noch eine Zukunft? Die Staatsregierung versichert, dass sie am Atomausstieg festhält. Dennoch ist eine Erhöhung der Leistung im Kernkraftwerk Gundremmingen möglich; die Entscheidung darüber könnte bald fallen. Unser Bild zeigt einen Mitarbeiter bei Wartungsarbeiten in einem Kühlturm des schwäbischen Meilers - Foto: Stache/AFP

München (DK) Die Staatsregierung steuert auf ein Atomproblem zu. Aus der Wirtschaft gibt es Druck, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, um explodierende Stromkosten zu verhindern. Zudem setzt ein Antrag der Betreiber des Kernkraftwerks Gundremmingen unter die Politik unter Zugzwang.

Das Unverständnis war Horst Seehofer anzusehen. Eine Laufzeitverlängerung für das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld? Die werde es „mit Sicherheit nicht geben“, sagte der Ministerpräsident am Mittwochabend am Rande einer Landtagssitzung. Das stehe auch nicht zur Debatte. Im Gegenteil: Das Problem sei eher, dass die Betreiber sogar mit dem Gedanken spielten, das Kraftwerk früher als geplant abzuschalten. Weil sich der Betrieb für sie offenbar nicht mehr lohne. Damit bliebe es also dabei: Grafenrheinfeld ginge wie im Atomausstiegsplan vorgesehen spätestens 2015 vom Netz.

Seehofer reagierte damit auf eine Pressekonferenz, die die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) kurz zuvor veranstaltet hatte. Der Präsident der vbw, Alfred Gaffal, hatte da ganz andere Vorstellungen geäußert. Sollte es bei der Energiewende nicht schneller vorangehen, solle man prüfen, ob die Laufzeit des Atomkraftwerks nicht verlängert werden müsse, sagte Gaffal. Sonst habe Bayern nämlich ein „ernsthaftes Problem“.

Hintergrund ist der mangelnd Ausbau von Stromleitungen. Die sogenannte Thüringer Strombrücke, über die Strom aus Norddeutschland nach Süden transportiert werden soll, fehlt noch immer. Nach Einschätzung der vbw wird die Stromtrasse auch bis 2015 nicht fertiggestellt. Wenn das Kraftwerk abgeschaltet werde, der Strom aber nicht vom Norden nach Bayern transportiert werden könne, drohten Engpässe, meint der Verband.

Der Druck der bayerischen Wirtschaft, im Notfall die Atomkraft stärker als geplant weiter zu nutzen, steigt also. Für Seehofer könnte das besonders unangenehm werden. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte er den raschen Ausstieg gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen Widerstände aus der Wirtschaft und Teilen der Unionsparteien vorangetrieben. 2022 soll das letzte bayerische Kernkraftwerk vom Netz gehen.

Doch nicht nur in Sachen Laufzeiten wächst der Druck. Die Staatsregierung muss auch eine andere unangenehme Entscheidung treffen. Vor mehr zehn Jahren haben RWE und Eon als Betreiber des schwäbischen Atomkraftwerks Gundremmingen den Antrag gestellt, die Leistung der Anlage erhöhen zu dürfen. Genehmigungsbehörde ist das bayerische Umweltministerium. Im August hat das Haus die Sache an das Bundesumweltministerium weitergeleitet – zur Stellungnahme. Die sei noch in Arbeit, heißt es dort. Aber die Sache dürfte schon bald entscheidungsreif sein. Dann könnte der Staatsregierung neuer Ärger ins Haus stehen.

Seit Jahren regt sich in der Region um Gundremmingen Widerstand. Auch die Opposition im Landtag hat schon mehrmals dazu aufgefordert, die Genehmigung zu verweigern. Sollte das Ministerium dennoch grünes Licht geben, könnte das Seehofers Glaubwürdigkeit in Sachen Atomausstieg erschüttern.

Die Leistungsausweitung würde zwar die Laufzeit nicht verlängern, aber die Anlage dafür möglicherweise unsicherer machen. Ein wissenschaftliches Gutachten, das Kraftwerksgegner kürzlich veröffentlicht haben, legt das nahe. Die Betreiber bestreiten es. Und Seehofer? Über den Antrag sei noch nicht entschieden, sagte er am Mittwoch im Landtag. Die Sache werde derzeit geprüft – unter fachlichen Gesichtspunkten. Kommentar Seite 2

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