München
Mit 92 Jahren ist noch lange nicht Schluss

Ursula Rudolph ist Deutschlands älteste Englischlehrerin Unter ihren Schülerinnen ist auch eine 103-jährige Frau

20.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:20 Uhr

Ursula Rudolph hat in den vergangenen Jahrzehnten unzähligen Schülern Englischunterricht gegeben. Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht - Foto: Brucker

München (DK) „Don’t worry be happy“ – Bobby McFerrins Gute-Laune-Hit könnte auch das Lebensmotto von Ursula Rudolph sein. Seit mehr als fünf Jahrzehnten unterrichtet sie unverdrossen Englisch. Mit ihren 92 Jahren dürfte sie Deutschlands älteste noch aktive Englischlehrerin sein.

Es klingelt an der Tür. Ursula Rudolph steht auf, drückt auf den Türöffner für die Haustür. „Da sind sie.“ Es ist 18.15 Uhr. Die kleine Dame lässt die Tür ihrer Altbauwohnung in München einen Spalt offen und geht ins Esszimmer zurück, lehnt ihre Krücke rechts von sich an den Tisch und setzt sich. Vor ihr liegt ein Stapel Blätter, darauf ihre Brille. In den Regalen an der Wand türmen sich Bücher bis zur Decke – englische und deutsche, Klassiker sowie zeitgenössische Literatur.

Selbst auf der Toilette hat sie ein englisches Lexikon. Für ihre Schüler. Ob die hineinschauen, fragt sich Rudolph und wartet. Wartet auf ihre älteste Schülerin, Brunhild. Die 103-Jährige kommt an Christine untergehakt zur Tür herein. Jeden Dienstag holt ihre Mitschülerin sie ab. Wie alt Christine ist, möchte sie nicht verraten, nur so viel sagt sie: „Ich bin noch ganz normal berufstätig.“

Das kann man von ihrer Lehrerin nicht behaupten. Die 92-Jährige ist Deutschlands wahrscheinlich älteste aktive Englischlehrerin – und will noch möglichst lange weitermachen. „Solange ich noch gute Augen, ein gutes Gedächtnis und ein gutes Gehör habe, werde ich mit dem Unterrichten nicht aufhören“, sagt Rudolph.

Ihren Unterricht für ihre drei Seniorenkurse an der Münchner Volkshochschule und für ihre Privatschüler bereitet Rudolph gewissenhaft vor. „Ich habe noch nie etwas doppelt gebracht. Für jede Unterrichtsstunde schreibe ich meine Konzepte neu“, sagt sie. Brunhild weiß das zu schätzen. Seit mehr als 30 Jahren geht sie einmal wöchentlich zu ihrer elf Jahre jüngeren Lehrerin. Zunächst in der Münchner Senioren-VHS, seit einigen Jahren im Privatunterricht gemeinsam mit den Mitschülerinnen Christine und Astrid.

Weil Brunhild mittlerweile fast blind ist, liest Rudolph ihr die Texte vor, dann diskutieren sie über aktuelle Themen oder machen Rollenspiele. Da sind die beiden alten Damen in ihrem Element.

Rudolphs blaue Augen funkeln, als sie erzählt, wie Brunhild einen Rechtsanwalt in Thornton Wilders „Queens of France“ spielte. „Das war im jugendlichen Alter von 80 Jahren.“ Rudolph hatte Ende der 90er Jahre ein besonderes Kursangebot entwickelt: „Learning by acting“. Brunhild war mit dabei und spielte mit anderen VHS-Kursteilnehmern neben dem normalen Unterricht samstags und sonntags unter Rudolphs Anleitung Theater in englischer Sprache.

„Wenn ich mir einen Wunsch erfüllen könnte, würde ich wieder so eine Theatergruppe gründen“, sagt Rudolph. Sie erzählt, wie sie selbst auf der Bühne stand, am „Schiller-Theater in Ludwigsburg Heinrich Kleists „Käthchen von Heilbronn“ spielte. Das war 1947. Damals glaubte sie noch an eine Karriere als Schauspielerin. Gemeinsam mit Manfred Rudolph hatte sie in der schwäbischen Stadt ein Engagement am Theater bekommen. Doch die Auftritte dort sollten ein Intermezzo bleiben. Nach der Währungsreform wurde das Theater geschlossen. „Wir sind nach München getrampt, um neu anzufangen.“

Ihr Mann erhielt eine Stelle als Regieassistent am Staatstheater. Rudolph, die damals unter ihrem Mädchennamen Ursula Bode bekannt war, arbeitete bis in die 60er Jahre als Bühnen- und Filmschauspielerin. Unter anderem spielte sie neben Uschi Glas in der deutschen Filmkomödie „Zur Sache, Schätzchen“ und an Theatern in München, Coburg und Würzburg.

Das zweite Leben der Ursula Rudolph fängt mit 50 Jahren an. Als ihr Mann seine Stelle verliert, legt sie im Eiltempo ihr Staatsexamen ab, tauscht die Bühne gegen die öffentliche Schule ein. Sie unterrichtet zunächst an einer Schule bei Augsburg, später in Maisach. Parallel dazu betreut sie Abiturkurse im zweiten Bildungsweg an der VHS. 1975 wechselt sie von den Abiturkursen zum damals neu angebotenen Seniorenprogramm der VHS München.

Damals wie heute besuchen meist Frauen ihre Englischkurse. „Ich glaube, Frauen sind einfach neugieriger und flexibler.“ Fasst sich doch einmal ein Mann ein Herz, so kann er damit rechnen, dass Rudolph alles unternehmen wird, damit er nicht aufgibt. Sie versteht es, ihre Schüler zu motivieren – so wie Helmut aus dem Konversationskurs der Senioren-VHS. Er wollte aufhören, weil er am Anfang das Gefühl hatte, nicht gut genug zu sein. Doch Rudolph gelang es, ihn zum Bleiben zu bewegen.

Die alte Dame geht zweimal wöchentlich ins Fitnessstudio. Auf dem Weg dorthin prägt sie sich neue englische Vokabeln ein. So trainiert sie Körper und Geist. Brunhild versteht das. Heute habe sie bereits im Altenheim Gymnastik gemacht, sagt sie.

Ihre Mitschülerin Christine ist beeindruckt: „Wenn man die beiden sieht, dann hat man keine Angst vor dem Alter“, meint sie.