München
"Ich lebe nicht mehr – ich existiere nur noch"

Warum der ehemalige Schiedsrichter-Funktionär Manfred Amerell jetzt den DFB verklagen will

26.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:33 Uhr

München (DK) Der Fall Amerell geht in die nächste Runde: Der ehemalige Schiedsrichter-Funktionär hat Klage gegen den DFB eingereicht. Manfred Amerell will den „Kampf bis zum Ende“ führen.

In vielen Zeitungen war es nur eine kurze Notiz. Man weiß in den Redaktionen eben, dass das Interesse der Leser am „Fall Kempter/Amerell“ abgeflaut ist. Jetzt, nach über vier Monaten Pause, hat es den nächsten Akt in dem „Schmierenstück“, wie es gern genannt wird, gegeben: Der DFB sagte ein Treffen mit Manfred Amerell und dessen Anwalt kurzfristig ab, der ehemalige Bundesliga-Referee kündigte eine Klage gegen den großen, mächtigen Fußballbund an. Doch es reichte nur zur Randnotiz. Das war vor gut zwei Jahren noch ganz anders. Da saß Amerell bei Johannes B. Kerner in der Talkshow, und man sah, wie er mit sich rang, als er von seinen sexuellen Beziehungen zu dem Schiedsrichter Michael Kempter erzählte. 
 
Erzählen musste, denn durch gezielte Indiskretionen aus dem DFB-Präsidium war der Fall öffentlich geworden und Amerell in die Rolle des geilen, alten Mannes gedrängt worden, der jungen Schiedsrichtern nachstellte, sie sexuell bedrängte und nötigte. In bekannter Genüsslichkeit breitete die „Bild“-Zeitung exklusiv Details aus, von denen Kempter dem Boulevardblatt erzählte – angeblich hatte DFB-Präsident Theo Zwanziger dem Schiedsrichter zu dieser Interview-Offensive geraten. Es wäre naheliegend, denn die Nähe von Zwanziger wurde immer auffälliger: Je kritischer das schwache Krisen-Management des beratungsresistenten DFB-Bosses in vielen Zeitungen beschrieben wurde, desto treuer stand „Bild“ zu ihm.
 
Und durfte exklusiv von seinem Rücktritt berichten: Noch bevor seine Präsidiumskollegen bei der Jahresabschlussfeier davon erfuhren, verbreitete „bild.de“ ein Interview mit Zwanziger zu seinem Abschied. Ein paar Tage danach kam es beim Oberlandesgericht Stuttgart zu einem Vergleich zwischen Kempter und Amerell. Darin widerrief der Schiedsrichter in steifem Juristendeutsch seine früheren Aussagen vor dem DFB und in Interviews, er habe Amerell klar zu verstehen gegeben, dass er keine sexuellen Kontakte wolle. „Das heißt nichts anderes, als dass die Vorwürfe gegen mich gelogen waren“, sagt Amerell, „und genau deshalb ist Theo Zwanziger auch so plötzlich zurückgetreten – der wusste, was kommt.“ Seit diesem Vergleich hat sich Amerell zurückgehalten. „Er wollte dazu beitragen, dass es zu einer gütlichen Einigung mit dem DFB kommt“, sagt sein Anwalt Jürgen Langer. Alle zivilrechtlichen Verfahren sind abgeschlossen, Amerell wollte seine Ehre wiederhergestellt wissen: „Man hat uns signalisiert: Wartet, bis Zwanziger abgetreten ist.“
 
Ein Vorgespräch in der Sportschule Oberhaching gab es Ende März, mit den DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch und Hans-Dieter Drewitz sowie dem stellvertretenden Generalsekretär Stefan Hans. Die Weichen schienen gestellt, Amerell hatte seine Forderungen formuliert: Entschuldigung durch den DFB, Ende der Schiedsrichterkarriere von Kempter, Konfrontation mit zwei Schiedsrichtern, die Amerell aus der Anonymität heraus sexueller Übergriffe beschuldigt hatten, sowie eine Schadenersatzzahlung. Von der Schiedsrichterliste, auf der Kempter auch ohne einen einzigen Einsatz seit April 2010 derzeit noch steht, ist er für die neue Saison gestrichen worden.
 
Die Verhandlung sagte der DFB nach einem Telefonat ab. „Jetzt ist der Kampf eröffnet“, sagt Amerell, „und er wird bis zum Ende geführt werden. Und das Ende bestimme ich.“ Material hat er, wie er versichert, genug. Und seine Entschlossenheit ist groß, Amerell hat nichts mehr zu verlieren. Sein Augsburger Hotel hat er Ende 2010 verkauft, von seiner Frau lebt er getrennt. „Mein Leben, so, wie es einmal war, ist zerstört. Der Riss geht durch alle Bereiche, das steckt man nicht so einfach weg“, sagt Amerell, „in einem Satz: Leben tue ich nicht mehr – ich existiere nur noch.“