München
Hoffnung für Mollath

Die Entscheidung über eine Wiederaufnahme des Falles steht kurz bevor – vieles spricht für einen neuen Prozess

23.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:52 Uhr

München (DK) Aus den Zeilen spricht offensichtlich Empörung. „Angesichts dieser Beweislage war eine Verurteilung nicht begründbar und bar jeder tragfähigen Beweise“, heißt es in dem Schreiben. Ohne stichhaltige Gründe habe man dem Angeklagten Reifenstechereien unterstellt. Er hätte der Täter sein können, aber auch viele andere – so das Fazit zum Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth gegen Gustl Mollath vom Februar 2007. Ein Totalverriss.

Das Schreiben hat aber nicht etwa Mollaths Verteidigung verfasst. Die Formulierungen stammen von der Staatsanwaltschaft Regensburg, die den Fall überprüft hat. Sie stehen in einem Entwurf des Wiederaufnahmeantrags, der unserer Zeitung in Auszügen vorliegt. Im März beantragte die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme des Falls – auf Anweisung der bayerischen Justizministerin Beate Merk (CSU). Mollaths Verteidiger hatte die Wiederaufnahme schon im Februar beantragt. Offenbar will das Landgericht Regensburg heute darüber entscheiden. Das wäre der erste Schritt zu einer erneuten Verhandlung.

Der Nürnberger Gustl Mollath sitzt seit sieben Jahren in der Psychiatrie – derzeit im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. 2001 soll er seine Frau während einer heftigen Beziehungskrise misshandelt haben. In ihrem Umfeld soll er Autoreifen zerstochen haben. Und zwar so, dass die Luft erst auf der Fahrt entweicht. Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens hielt ihn das Gericht für gemeingefährlich.

Er selbst sieht sich als Justizopfer. Seine Ex-Frau habe ihn aus dem Verkehr ziehen wollen, meint er. Mollath hatte seinerzeit mögliche Schwarzgeldgeschäfte angezeigt, in die sie als Mitarbeiterin der HypoVereinsbank verwickelt gewesen sein soll. Die Behörden gingen dem nicht nach – bis sich die Vorwürfe im vergangenen Jahr als teilweise begründet erwiesen. Auch etliche andere Merkwürdigkeiten kamen in den vergangenen Monaten heraus.

Gestern äußerte sich Mollath selbst zum Verfahren. Der Enthüllungsautor Wilhelm Schlötterer präsentierte in Bayreuth sein neues Buch „Wahn und Willkür“, in dem es unter anderem um den Fall geht. Und Gustl Mollath war persönlich zu Gast. „Ich habe die Hoffnung, dass die Dinge positiv enden“, sagt er. Nur eine Wiederaufnahme des Verfahrens könne ihn rehabilitieren. Dass die nun kurz bevorstehe, sei ein „Riesenschritt“. Bei dem Auftritt wurde er von einem Arzt begleitet.

Viel spricht für die Wiederaufnahme. So viel lässt sich aus den Schriftstücken der Staatsanwaltschaft Regensburg herauslesen. Briefe Mollaths, aus denen der Richter in der Verhandlung Beweise entnahm, wurden demnach vor Gericht nicht ordnungsgemäß verlesen, Sätze daraus wurden für die Beweisführung einfach verändert. Die Schilderungen des Gerichts stellten „nichts anderes dar, als die bewusst wahrheitswidrige Ausschmückung des Sachverhalts“, schreibt die Staatsanwaltschaft. Die Ausführungen hätten nur dazu gedient, zusätzliche Argumente für die Einweisung des Angeklagten zu gewinnen.

Im endgültigen Wiederaufnahmeantrag stehen diese Vorwürfe so nicht mehr. Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg als vorgesetzte Behörde hatte etwas dagegen, wie aus einem Schreiben an das Justizministerium hervorgeht. Doch auch in der eingereichten Version führen die Ermittler noch gewichtige Gründe an.

Zum einen geht es um das ärztliche Attest, mit dem die Ex-Frau Mollaths Misshandlungen beweisen wollte. Das Attest wurde erst lange nach den angeblichen Angriffen ausgestellt. Zudem hat es ein Nürnberger Arzt unter dem Namen seiner Mutter geschrieben, in deren Praxis er damals als Assistenzarzt arbeitete. Es gibt also Zweifel, ob das Dokument juristisch wasserdicht ist.

Ein zweiter Grund betrifft die Wahnvorwürfe gegen Mollath. Er hatte zum damaligen Zeitpunkt verweigert, sich von einem Nürnberger Psychiater begutachten zu lassen, weil er befürchtete, dass auch er in ein Komplott gegen ihn verstrickt sei. Tatsächlich hatte er Hinweise, dass der Arzt Personen kannte, die mit dem Verfahren zu tun hatten. Der Psychiater gab später selbst zu Protokoll, er könne Mollaths Bedenken verstehen. Nach Meinung des Gerichts war aber gerade Mollaths Verhalten gegenüber dem Arzt ein starker Hinweis auf den angeblichen Verfolgungswahn.

Zudem erschüttert ein neuer Zeuge die Glaubwürdigkeit der Ex-Frau. Ein Bekannter Mollaths, der Nürnberger Zahnarzt Edward Braun, hat inzwischen von einem Telefongespräch berichtet, das er damals mit ihr geführt habe. Sie werde Gustl Mollath „fertigmachen“ und ihm etwas anhängen, wenn er seine Schwarzgeld-Vorwürfe aufrechterhalte, habe sie damals gesagt.

Auch Mollaths Rechtsanwalt, der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, macht dem Nürnberger Landgericht in seinem Wiederaufnahmeantrag schwere Vorwürfe. Er wirft dem damals verantwortlichen Richter Rechtsbeugung vor. Den schlimmsten Verstoß sieht er darin, dass das Gericht eine vernünftige Verteidigung Mollaths verhindert habe.

Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Nürnberger und seinem Pflichtverteidiger war während des Prozesses völlig zerrüttet. Der Rechtsanwalt selbst bekniete das Gericht in mehreren Schreiben, von seinem Mandat entbunden zu werden. Der zuständige Richter lehnte das aber ohne nachvollziehbare Begründung ab. So stand Mollath in dem Prozess faktisch ohne Anwalt da.

Trotz allem bezweifelt Strate, dass das Gericht eine Wiederaufnahme möglich macht. „Von der zuständigen Kammer des Gerichts erwarte ich mir gar nichts“, sagt der Verteidiger. Möglicherweise werde die Sache erst vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden.

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