München
"Die Staatsregierung denkt wie die NSA"

11.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:49 Uhr

Florian Ritter ist der Datenschutzexperte der SPD-Landtags- fraktion - Foto: oh

München (DK) Diese Woche hat das oberste EU-Gericht die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gestoppt. Die CSU will das verdachtsunabhängige Sammeln sämtlicher privater Telefon- und Internetdaten trotzdem wiedereinführen. Der Vize-Chef der Datenschutzkommission im Landtag, Florian Ritter (SPD), greift die Regierungspartei deshalb scharf an.

 

Herr Ritter, Innenminister Joachim Herrmann hat nach dem EuGH-Urteil als einer der Ersten trotzdem die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gefordert. Wie weit geht Ihr Verständnis?

Florian Ritter: Ich finde das nicht mehr nachvollziehbar. Es ist doch jetzt erst mal wichtig zu schauen, ob es überhaupt noch Spielraum für eine rechtliche Regelung gibt, die über das hinausgeht, was jetzt schon möglich ist. Ich bezweifle das sehr.

 

Wie erklären Sie es sich, dass die Staatsregierung das Überwachungsgesetz trotzdem will?

Ritter: Die CSU hat schon immer versucht, den Rahmen der Grundrechte so weit auszureizen, wie möglich. Nahezu jedes Sicherheitsgesetz der vergangenen zehn Jahre ist von Gerichten in Hinsicht auf die Grundrechte korrigiert worden. Ein Gesetz zur Erfassung von Autokennzeichen, die Wohnraumüberwachung, auch beim Überwachungsprogramm ,Bayerntrojaner’ wurden die Behörden zurückgepfiffen.

 

Sie werfen der Staatsregierung Geringschätzung der Grundrechte vor?

Ritter: Wir haben im Landtag auf Grundrechtsprobleme hingewiesen. Die CSU hat ihre Gesetze trotzdem durchgesetzt – nach dem Motto: Viel hilft viel. Bei der Staatsregierung herrscht die gleiche Denke wie bei der NSA: Man sammelt mal alle Daten, irgendwann wird man sie schon mal brauchen. Alles wird unter Sicherheitsaspekten gesehen. Man wartet dann darauf, was die Gerichte sagen.

 

Sie meinen, die Staatsregierung testet bewusst die Grenzen des Rechtsstaats aus?

Ritter: Natürlich. Nach einem Gerichtsurteil wird dann die Regelung so weit abgeändert, dass der Rechtsrahmen ausgeschöpft ist. Damit die Sicherheitsbehörden auch ja alles dürfen, was die Verfassung gerade noch so hergibt. Ich finde, die CSU kommt ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nach.

 

Warum nicht?

Ritter: Aufgabe des Gesetzgebers ist es, ein Gleichgewicht zwischen allgemeinen Sicherheitsinteressen und den Schutzinteressen des Einzelnen vor staatlicher Überwachung herzustellen. Die CSU sieht aber die Sicherheit als das höhere Gut und lässt das Gleichgewicht durch die Gerichte herstellen. Bürgerrechte und Datenschutz haben keine Tradition in der CSU.

 

Ministerpräsident Horst Seehofer hat im Zuge des NSA-Skandals angekündigt, die CSU werde neu über die Balance zwischen Sicherheit und Bürgerrechten nachdenken. Stellen Sie eine neue Linie fest?

Ritter: Auch Herr Seehofer stellt offensichtlich fest, dass eine Schieflage herrscht. Aber ich merke noch nicht, dass sich etwas geändert hat. Bisher sind das Seifenblasen für die Öffentlichkeit.

 

Auch von Bürgern kommt andererseits der Ruf nach Überwachung, wenn es um Terrorismus oder Kinderpornografie geht. Wo sehen Sie die Balance?

Ritter: Für mich gibt es jedenfalls eine Grundregel: Es muss der Ansatz eines Verdachts gegen eine Person vorliegen, damit deren Daten gespeichert und weiterverarbeitet werden dürfen. Ohne Verdacht Daten zu speichern, geht nicht..