München
"Da ist keiner Herr seiner Sinne"

Der Wirt des Hofbräuhauses berichtet von der Hysterie am Abend des Amoklaufs Nun herrscht wieder Normalbetrieb

25.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:30 Uhr

"Wir machen weiter", betont Wolfgang Sperger. - Foto: Wenisch

München (DK) Drei Smartphones liegen noch auf dem Tisch im ersten Stock des Hofbräuhauses in München. Drei von ursprünglich 80. So viele Handys waren am Freitagabend zurückgeblieben, als 1500 Gäste das Wirtshaus in Panik verließen. Der Amoklauf im OEZ und die in der Stadt herrschende Angst machten auch vor der weltberühmten Bierhalle nicht halt.

Auslöser waren fünf Menschen, die gegen 19 Uhr durch den Haupteingang kamen und quer durch die Halle liefen, wie Hofbräuhaus-Wirt Wolfgang Sperger die Berichte seiner Belegschaft zusammenfasst. Sie hätten geschrien und vor Schüssen gewarnt. "Die waren hysterisch", sagt Sperger, der selbst gerade auf dem Heimweg war. Er vermutet, dass die fünf Personen durch die Gerüchte über Schüsse in der Innenstadt und eine Fehlinterpretation aufgeschreckt worden waren. "Da reicht ja schon ein Geräusch, das man für einen Schuss hält - zum Beispiel, dass eine Bank umfällt", sagt der Wirt.

Die Hysterie übertrug sich blitzschnell auf das gesamte Hofbräuhaus. Hunderte Menschen stürmten zum Hinterausgang. Den kürzesten Weg suchten sich vier Engländer. Sie schlugen mit den Maßkrügen ein Fenster ein, kletterten durch die Scherben ins Freie und zogen sich dabei Schnittwunden zu. "Da ist keiner Herr seiner Sinne", sagt Sperger. Das größte Problem sei aber gewesen, dass sich das Zerbrechen der Scheibe wie ein Schuss angehört habe. Dadurch sei die Panik noch verstärkt worden.

Auch bei anderen Gästen gab es kleine Schnittwunden. Ein Kellner zog sich einen Bruch an der Schulter zu. "Notärzte waren an diesem Abend aber nicht zu bekommen", erklärt Hofbräuhaus-Sprecherin Sabine Barthelmeß. Die Ersthelfer unter den Mitarbeitern versorgten die Leichtverletzten, der Kellner wurde von der Polizei ins Krankenhaus gebracht. Die Evakuierung habe insgesamt nur fünf Minuten gedauert, alle Fluchtpläne seien reibungslos umgesetzt worden, betont Sperger.

Seit gestern herrscht wieder Normalbetrieb: Die Kapelle spielt wieder. Normal gebe es an 363 Tagen im Jahr Musik, sagt Barthelmeß. Diesmal seien es nur 361. Am Wochenende wurde aus Pietätsgründen darauf verzichtet. Dauerhaft dürften Gewohnheiten aber nicht abreißen, sagt Sperger: "Wir machen weiter. Wir müssen zum Alltag zurück."

Auch die Gäste lassen sich von den Ereignissen nicht die Laune verderben. Man denke zwar schon darüber nach, sagt ein Mann, der mit seinem Sohn zum Mittagessen gekommen ist. Aber man könne das Leben ja nicht einstellen. Und so bleibt von der Paniknacht nicht viel. Auch die Scheibe ist bereits repariert. Nur ein Haufen Fundsachen zeugt noch von den Ereignissen. Etwa ein Dutzend Sonnenbrillen, ein paar Klamotten, Hüte und Kreditkarten müssen noch zurückgegeben werden - notfalls auch per Paketversand. Besonders die Kindersachen würde sie gerne wieder an die Besitzer bringen, sagt Barthelmeß. Denn für die Kleinen müsse das Geschehene eine besonders große Belastung sein. Unter anderem sind noch ein Puppenwagen und ein Lego-Rennauto da.

Rund 200 Menschen haben ihre zurückgelassenen Gegenstände schon abgeholt und wollten auch noch ihre Zeche zahlen. Doch da winken die Kellner ab. "Alle sind eingeladen", sagt Sperger.