Mit wehenden Fahnen nach links

02.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:25 Uhr
Einen begeisterten Empfang bereitete die SPD beim Politischen Gillamoos dem Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert. −Foto: Rast

Kann ein Berliner Linker ein bayerisches Bierzelt in Wallung versetzen? Beim Politischen Gillamoos in Abensberg wagt es der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. Seine persönliche Premiere wird ein Triumphzug.

Abensberg (DK) Ohne Berührungsängste greift Kevin Kühnert nach der prächtig eingeschenkten frischen Maß. Er reckt den Krug erst hoch, dann trinkt er genussvoll. Wer hier am Bier nur nippt, der ist beim Politischen Gillamoos im niederbayerischen Abensberg definitiv fehl am Platz. Kevin Kühnert hat seine erste Bewährungsprobe im Bierzelt bestanden. Zuvor hat ihn die langjährige SPD-Landtagsabgeordnete Johanna Werner-Muggendorfer beim gemeinsamen Bummel vorbei an den Volksfest-Buden noch mit einem Lebkuchenherz beschenkt. "Viel Glück" steht darauf geschrieben - in weißer Schrift auf rotem Untergrund. Letzteres passt zu einem Politiker, der sich selbst ungeniert einen Sozialisten nennt. Rote Fahnen wehen und Marschmusik ertönt. Das Herz baumelt fröhlich an Kühnerts Brust, als er in das volle Bierzelt einzieht. Kein Zweifel: Viele der jubelnden Genossen hätten den gerade mal 30-Jährigen gerne als nächsten SPD-Parteichef gesehen. Doch vor wenigen Tagen hat sich Kühnert selbst aus dem Rennen genommen.

Das bedauert auch der örtliche SPD-Vorsitzende Thomas Schug. Bei der Vorstellung wundert sich der Abensberger ein wenig über den diesjährigen Hauptredner: kein Landtagsmandat, kein Bundestagsmandat, nur Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg. "Dennoch ist Kevin Kühnert einer der profiliertesten Politiker in Deutschland", verkündet Schug. "Kühnert sieht sich nicht als Insolvenzverwalter unserer Traditionspartei. Er haucht der SPD wieder Leben ein."


Angesichts des Getümmels im heißen Bierzelt kommt sich Kühnert vor wie Montagfrüh in der Berliner U-Bahn. Und ein kaltes Bier am Morgen sei in der Hauptstadt keine Seltenheit, berichtet er zum Auftakt seiner Rede den bayerischen Genossen. Doch eigentlich gibt es für die SPD ja wenig Grund zum Feiern. "Das Ergebnis des Wahlabends steckt mir noch in den Knochen", gesteht der Juso-Vorsitzende. Die 7,7 Prozent für seine Partei in Sachsen bezeichnet er ohne die übliche Gesundbeterei als "enttäuschend". Erleichtert sei er aber über den Ausgang der Wahl in Brandenburg gewesen. Die Sozialdemokraten hätten weitaus weniger verloren als ihnen die Demoskopen prophezeit hätten.

Er selbst sei in den vergangenen Wochen intensiv im Wahlkampf in den beiden östlichen Bundesländern unterwegs gewesen, berichtet Kühnert. Gerade in Sachsen herrsche eine Stimmung, die niemanden dazu motiviere, sich für die Gesellschaft einzusetzen. "Dort hat sich die sichtbare Demkokratie zurückgezogen", bedauert Kühnert. Deshalb entwickelt er einen interessanten Vorschlag: Die Parteien sollten verpflichtet werden, einen Teil der ihnen zufließenden staatlichen Finanzierung in den Aufbau demokratischer Strukturen in den weitgehend entvölkerten Regionen im Osten zu stecken.

Kühnerts Ansage zum Aufstieg der AfD fällt unmissverständlich aus: "Da kandidieren Neonazis für demokratische Parlamente." Eine Annäherung der anderen Parteien an die Rechtspopulisten dürfe es niemals geben. Ärgerlich sei zudem, dass im Westen zwar viel über den Osten geredet werde - aber nicht mit den dort lebenden Menschen. "Das ist politisches Gaffertum wie bei einem Autounfall", ereifert sich Kühnert. Was Wunder, dass sich die Ostdeutschen bevormundet fühlten.

Grobes verbales Holzen ist seine Sache nicht. Auch im bayerischen Bierzelt setzt er auf die Überzeugungskraft der politischen Argumente. In seiner rhetorischen Schärfe und Positionierung am linken SPD-Flügel erinnert Kühnert in vielen Momenten an den früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine. Die Parallelen werden deutlich, wenn er die neoliberale Politik der vergangenen 30 Jahre geißelt. "Dieses Gift ist tief in unsere Gesellschaft eingesickert", barmt Kühnert. "Die Schwachen werden gegen die Schwächsten ausgespielt und wenige Reiche feiern eine immer größer werdende Party." Denn der "neoliberale Irrsinn habe einen Spaltpilz in die Gesellschaft getrieben. Deshalb sei es richtig, dass die SPD mit der Vermögenssteuer wieder Verteilungsgerechtigkeit schaffen wolle.

Für derlei Sätze feiern ihn die Genossen enthusiastisch. Als Abschiedsgeschenk gibt es für den bekennenden FC Bayern-Fan Kühnert noch ein Trikot. Das ist knallrot - wie seine politische Gesinnung.

Harald Rast