Marcus' Tod hinterlässt tiefe Spuren

Berufung in Verfahren um Unfall zurückgezogen - Viel Leid bei Familien

15.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:48 Uhr
Marcus R. aus Geisenfeld starb auf tragische Weise. −Foto: privat

Ingolstadt - Plötzlich ging alles recht schnell: Mit der Zurücknahme der Berufung sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung endete am Donnerstag der Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen einen 23-jährigen Reichertshofener.

 

Der Mann hatte vor zwei Jahren einen Unfall verursacht, bei dem der 13-jährige Marcus R. aus Geisenfeld (Kreis Pfaffenhofen) ums Leben kam. Damit bleibt es beim Urteil der Richterin am Amtsgericht Pfaffenhofen vom September 2019. Es lautete damals auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, sowie weitere zwei Jahre Führerscheinsperre.

Es handelt sich um eines dieser Verfahren, bei dem es keine Gewinner geben kann. Auf der einen Seite stehen der Vater und der ältere Bruder des getöteten Realschülers und fordern Gerechtigkeit oder was sie in ihrem großen Schmerz über den herben Verlust darunter verstehen: eine möglichst drakonische Strafe. Auf der anderen Seite befindet sich der Todesfahrer. Der Unfall hat auch ihn und seine Angehörigen aus der Bahn geworfen, zeitweise hegte der junge Mann Suizidabsichten. Seinen Beruf als Kurierfahrer hat er verloren, er lebt seither bei und von der Mutter.
 

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Der heute 23 Jahre alte Angeklagte hatte im September 2018 auf der B300 bei Geisenfeld mit seinem 280 PS starken Audi S4 in einer leichten Kurve zum Überholen angesetzt und mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Tempo-100-Strecke ein anderes Auto überholt. Beim Einscheren verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug, schleuderte in den Graben und zurück auf die Straße, wo der Wagen auf der rechten Seite aufschlug. Für den 13-jährigen Realschüler auf dem Beifahrersitz gab es keine Rettung mehr. Sein älterer Bruder, der im überholten Auto saß, bekam hautnah mit, wie Marcus R. starb.

Die Kurve, in der das schreckliche Geschehen seinen Lauf nahm, lässt sich von einem geübten Fahrer mit bis zu 170 km/h meistern, sagte der Dekra-Gutachter Josef Kiermeier am Donnerstag am zweiten Verhandlungstag. Er hatte alle Spuren ausgewertet und war "bei wohlwollender Betrachtung für den Angeklagten" auf ein Tempo von 140 bis 150 km/h zum Unfallzeitpunkt gekommen, vielleicht noch mehr. Kiermeier ging von einem Fahrfehler des jungen Mannes als Ursache aus. Der Audi S4 quattro liege zwar gut auf der Straße, verzeihe aber falsche Reaktionen nur schwer.

Staatsanwältin Astrid Schrodt hatte den Angeklagten über die fahrlässige Tötung hinaus auch wegen Straßenverkehrsgefährdung bestraft sehen wollen, weil sein Verhalten "grob verkehrswidrig und rücksichtslos" gewesen sei. Davon nahm sie am Donnerstag Abstand, weil dies wohl nicht zu belegen sei. Sie zog ihre Berufung zurück, nachdem sich Verteidiger Stefan Netzer ebenfalls dazu bereiterklärte.

Die Berufungskammer unter Vorsitz von Bettina Grafe war zu demselben Schluss gekommen. Typisch für das Vorliegen einer Straßenverkehrsgefährdung wäre etwa ein Schneiden beim Wiedereinscheren nach dem Überholen oder eine Gefährdung des Gegenverkehrs. "Das ist hier aber nicht nachweisbar. " Es liege ein Fahrfehler vor, für den das Urteil der Erstinstanz "schon deutlich und spürbar" sei, sagte Grafe. "Das war grobe Fahrlässigkeit, aber keine Tat, für die man eingesperrt werden muss. "

Tränen gab es anschließend sowohl beim Angeklagten als auch beim Vater und dem Bruder des Getöteten, als der 23-Jährige um Verzeihung bat. Es tue ihm alles "sehr leid", sagte der Reichertshofener. Der Vater des Unfallopfers konnte und wollte das nicht annehmen. "Hier ist eine ganze Familie zerstört worden", hatte sein Anwalt Andreas Höckmayr in erster Instanz erklärt. Sein Leben sei zerstört, sagte sein Mandant jetzt nach der Berufungsverhandlung. Ob die Zeit einige Wunden zu heilen vermag, bleibt offen. 

Horst Richter