Ingolstadt
Wie "grün" ist der Koalitionsvertrag?

Umweltpolitik und Klimaschutz mehr im Fokus

16.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:13 Uhr
Montage: DK −Foto: LBV/privat

Ingolstadt (DK) "Bayern kann grüner werden ohne die Grünen", sagte Ministerpräsident Markus Söder bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags der neuen schwarz-orangen Regierung. Umweltpolitik und Klimaschutz sollen mehr in den Fokus rücken. Doch wie grün sind die 60 Seiten wirklich?

CSU und FW wollen eine "Zukunftskoalition" bilden, heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrags. "Dafür machen wir den Freistaat nachhaltiger, moderner und ökologischer. Wir legen noch mehr Augenmerk auf die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen." Markus Söder glaubt, Bayern auch ohne die Grünen auf Öko-Kurs zu bringen - doch was sagen die Partei selbst und Naturschützer dazu? Nachgefragt beim Freisinger Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Becher und dem Vorsitzendes des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer.

Ökologische Landwirtschaft
Die bundesweite Spitzenposition Bayerns soll "kraftvoll" ausgebaut werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Becher moniert: Bayern sei gar nicht spitze, sondern eher im Mittelfeld: "Bei Öko-Betrieben liegen wir auf Platz zehn bei der Fläche auf Platz acht." Die Koalitionäre wollen den Anteil an Öko-Flächen "mittelfristig" verdoppeln. Aktuell sind es acht Prozent. "Unter Landwirtschaftsminister Helmut Brunner wurden 20 Prozent gefordert, dementsprechend ist das ein Schritt zurück", sagt Norbert Schäffer. Der LBV-Vorsitzende regt an, in den Kantinen der Ministerien nur noch Lebensmittel aus Öko-Betrieben anzubieten. "Um zu zeigen, dass es ernst gemeint ist."

Pestizide
"Ziel muss es sein, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren", steht in der Vereinbarung von CSU und FW. "Markus Söder hatte angekündigt, dass Bayern noch vor dem Bund auf Glyphosat verzichten wolle", erinnert Schäffer. Daher sei auch hier ein Rückschritt zu konstatieren. Der LBV ist außerdem enttäuscht, dass es keine verpflichtende Einführung von Gewässerrandstreifen gibt. In allen anderen Bundesländern werden an kleinen Gewässern und Bächen einige Meter nutzungsfreie Flächen als Abstand zu Äckern gelassen, um die Gewässer vor Pestiziden zu schützen. "In Bayern wird wie so oft auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt", sagt Schäffer. "Aber was zählt, sind Ergebnisse." Der LBV fordert die Halbierung des Pestitzideinsatzes bis 2025, die Grünen bis 2030 - beide sind sich einig, dass die Landwirte bei der Umstellung finanziell unterstützt werden sollten.

Agrarpolitik
Laut Koalitionsvertrag soll die derzeitige Agrarförderung beibehalten werden. Demnach erhalten Landwirte je nach Größe ihrer Fläche EU-Gelder. Der LBV kritisiert diese Praxis. "Öffentliche Gelder sollten für öffentliche Leistungen ausgegeben werden", sagt Schäffer. "Nicht einfach für den reinen Besitz von Flächen." Der LBV fordert, solche Landwirte finanziell zu unterstützen, die sich aktiv um den Schutz der biologischen Vielfalt kümmern. In der Agrarpolitik seien "grundlegende Änderungen nötig", fordert Schäffer.

Erneuerbare Energien
CSU und FW wollen "mit dem weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromspeichern und Stromnetzen und dem Ausstieg aus der Kohleverstromung schnellstmöglich vorankommen". Becher kritisiert, dass die Energiewende ohne Windkraft nicht gelingen könne. Um hier wieder in Schwung zu kommen, müsse die bestehende Regelung (Abstand eines Windrads zur Wohnbebauung muss die zehnfache Länge der Höhe des Windrads sein, sogenannte 10-H-Regelung) gekippt werden.

Flächenverbrauch
Als "Richtgröße" nennen die Koalitionäre fünf Hektar pro Tag - diese Zahl hatte auch das Volksbegehren "Betonflut eindämmen" gefordert. Im vergangenen Jahr wurden bayernweit im Schnitt 11,7 Hektar Fläche täglich verbaut. "Der Begriff ,Richtgröße' erinnert mich an die Autobahnen, da wird auch von 130 Stundenkilometern gesprochen, tatsächlich fährt aber fast jeder schneller", sagt Becher. "So verhindert man nicht die Betonierung der Heimat." Norbert Schäffer sieht in diesem Punkt einen Schritt in die richtige Richtung. "Allerdings müssen wir aufpassen, dass hier nichts schöngerechnet wird."

Dritte Startbahn
Der Bau einer dritten Startbahn auf dem Münchner Flughafen wird für fünf Jahre nicht weiterverfolgt. "Eine absolute Enttäuschung", sagt Becher. "Die Freien Wähler haben das Aus für die Startbahn zur roten Linie erklärt, sie waren in einer super Verhandlungsposition. Und jetzt wird der Status Quo festgeschrieben." In seinem Wahlkreis herrsche "blankes Entsetzen".

Klimaschutz
Der Klimaschutz soll Verfassungsrang bekommen, ein Klimaschutzgesetz ausgearbeitet werden. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2050 auf unter zwei Tonnen je Einwohner und Jahr reduziert werden. Johannes Becher: "Es ist positiv zu werten, dass der Klimaschutz Verfassungsrang erhält. Aber 2050 ist als Ziel viel zu weit weg. Was soll in den nächsten fünf Jahren konkret passieren?"

Alpenplan
Die Änderungen werden zurückgenommen - die Schutzzone C (die strikste Schutzkategorie) wiederhergestellt. "Das begrüßen wir", sagt Becher. "Aber das ist auch nur konsequent." Die Herausnahme des Gebiets habe es nur gegeben, um die Skischaukel am Riedberger Horn zu realisieren - und dieses Projekt sei schon vor der Wahl beerdigt worden. "Für die Rücknahme einer Schnapsidee kann man nicht viel Lob erwarten." Schäffer sieht das anders. Es zeige durchaus Größe, dass die Staatsregierung hier nicht auf stur geschalten und eingesehen habe, einen Fehler gemacht zu haben.

Wald
Zehn Prozent der staatlichen Waldflächen sollen als Naturschutzflächen von der forstwirtschaftlichen Nutzung ausgenommen werden. Becher jedoch stellt klar, dass bereits jetzt 10,4 Prozent herausgenommen seien. "Und zwar nicht solche Flächen, die aus Sicht des Naturschutzes die geeignetsten sind, sondern die, bei denen es den Waldbauern am wenigsten weh tut." Und auch der LBV zeigt sich ernüchtert. Was Bayern brauche, seien geographisch verteilte Schutzflächen nicht nur in den Alpen und im Mittelgebirge, sondern auch im Tiefland. "Diese Schutzflächen ersetzen uns keine schützenswerten Buchenwälder wie im Steigerwald oder Spessart."

Vertragsnaturschutz
Beim Vertragsnaturschutz werden ökologisch wertvolle Lebensräume erhalten und verbessert, die auf eine naturschonende Bewirtschaftung angewiesen sind. Landwirte, die ihre Flächen nach den Zielen des Naturschutzes bewirtschaften, erhalten dafür Gelder. Diese Flächen sollen laut Koalitionsvertrag verdoppelt werden. Der LBV bewertet das positiv. Man müsse diese Maßnahmen aber mithilfe eines Monitorings beobachten. "Ob das Geld auch wirklich dem Naturschutz zugute kommt", sagt Schäffer. Gleichzeitig bemängelt er, dass in den Naturschutzbehörden ein eklatanter Personalmangel herrsche. "Die Behörden haben oft gar nicht die Zeit, das Geld auszugeben." Der LBV fordert deshalb, die Ämter in Bayern um 100 Mitarbeiter aufzustocken.

Nationalpark
Wie erwartet, bekommt Bayern keinen weiteren Nationalpark. "Hier hat die Koalition die Zeichen der Zeit nicht erkannt", sagt Becher. Der LBV sieht eine verpasste Chance. In Bayern müssten dringend Flächen geschaffen werden, in die nicht eingegriffen wird. "Als Referenzflächen, um zu beobachten, was dort passiert und die biologische Vielfalt zu schützen."

Fazit
Der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Becher findet: "Der Koalitionsvertrag hat ein paar grüne Überschriften, mehr nicht." In weiten Teilen sei er unverbindlich, unkonkret und basiere auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. "Da sind viele substanzlose Floskeln dabei, die ein bisschen grün rüber kommen sollen." Insgesamt sei er enttäuscht, "da hatte ich mir am Wahlabend noch etwas anderes erhofft". Norbert Schäffer hingegen ist vorsichtig optimistisch. Der Koalitionsvertrag könne den Verlust an biologischer Vielfalt aufhalten, wenn er ernsthaft umgesetzt werde. Ein Durchbruch sei er aber nicht. Man habe im Naturschutz noch nie "so viel Geld, Wissen und Rückenwind" wie derzeit gehabt. "Das muss man nutzen." CSU und Freie Wähler müssten sich in fünf Jahren daran messen lassen, wie ernst sie ihre Absichtserklärungen zu einem grüneren Bayern nehmen, sagt Schäffer. "Wir werden genau beobachten, dass wo Naturschutz draufsteht, auch Naturschutz drin ist."