München
Kerstin Weng wurde Opfer von Gaffern nach Unfall: "Man fühlt sich wie ein Tier im Zoo"

"Zunehmende Technisierung" ist Problem

27.07.2021 | Stand 23.09.2023, 20:00 Uhr
Sichtbares Zeichen auf dem Auto: Der Aufkleber ist auf den Straßen bereits weit verbreitet und soll unter anderem auf die Gefahren durch das Gaffen hinweisen. Bei einer Veranstaltung des ADAC Südbayern am Dienstag in München wurde die Aktion genauer beleuchtet. −Foto: ADAC

München - Für Kerstin Weng und ihre Familie hätte es in den Bayerischen Wald gehen sollen.

Im September 2019 war sie mit ihrem Partner und der vierjährigen Tochter im Auto unterwegs. Doch was als ein schöner Urlaubstrip geplant war, wurde zu einem Alptraum.

Denn wie aus dem Nichts kam es auf einer Landstraße zu einem Unfall. "Plötzlich ist ein Auto von der anderen Spur auf unsere gekommen und einfach direkt auf uns zugesteuert", erzählt Weng bei einer Veranstaltung des ADAC Südbayern am Dienstag in München.

Nach der ersten Schrecksekunde kamen Helferinnen und Helfer. Nichtsdestotrotz fuhren Autos an der Unfallstelle vorbei, aus denen gefilmt und fotografiert wurde. "Zunächst war da eine Fassungslosigkeit. Wut ist auch mit im Spiel. " Man fühle sich ausgeliefert, so Weng. "Im schlimmsten Moment, den man gerade erlebt, gefilmt zu werden, fotografiert zu werden, und nicht zu wissen, was mit dem Foto passiert, da fühlt man sich wie ein Tier im Zoo. "

Um gegen das Gaffen bei Verkehrsunfällen ein Zeichen zu setzen, haben sich mehrere Institutionen zusammengeschlossen: Der Radiosender Bayern 3, der ADAC in Bayern, die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und der Landesfeuerwehrverband Bayern (LFV) riefen die Aktion "#Gaffen geht gar nicht" - gegen Sensationsgier und für mehr Sicherheit auf den Straßen ins Leben. Das war im Herbst 2019.

Im Radio werden seither immer wieder Beiträge veröffentlicht und die Moderatorinnen und Moderatoren weisen auf die Aktion hin. Mittlerweile sind über eine Millionen Aufkleber für das Autoheck mit dieser Botschaft verteilt. Auch ausgezeichnet wurde die Kampagne bereits. Mit dem German Brand Award, einem Wettbewerb des German Brand Institute. "Die starke Nachfrage nach den Aufklebern zeigt ebenfalls das Interesse und Bedürfnis in der Bevölkerung, hier ein Zeichen setzen zu wollen", berichtet Alexander Kreipl, verkehrspolitischer Sprecher des ADAC Südbayern. Die Aufkleber gibt es nach wie vor kostenlos in den 30 ADAC-Geschäftsstellen und Reisebüros sowie in den sechs ADAC-Fahrsicherheitszentren in ganz Bayern. Für die bayerischen Mitglieder wird ein Aufkleber im ADAC-Clubmagazin Motorwelt liegen. Das Ziel dabei ist jetzt schon klar: Bis Ende des Jahres sollen zwei Millionen Aufkleber im Freistaat verteilt sein.

Dass das Sensibilisieren für das Thema weiterhin nötig ist, weiß der Leiter der Verkehrspolizeiinspektion Feucht, Stefan Pfeiffer. Ebenfalls im Jahr 2019 wurde er mit einem Video berühmt, in dem zu sehen ist, wie er Gaffende zu den Leichen eines Unfalls führen will. "Mit der zunehmenden Technisierung ist das Gaffen immer mehr geworden", sagt der Beamte, der seit 36 Jahren bei der Polizei ist und das Phänomen von seiner täglichen Arbeit kennt. "Wir erleben es auf der Autobahn, da werden Laptops aus dem Auto gehalten und es werden Aufnahmen damit gemacht. " Das in den Griff zu kriegen, sei sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Polizei ganz schwierig.

Kerstin Weng weiß, wovon der Beamte spricht. Gerade nach ihrem Unfall, bei dem sie und ihre Familie selbst zu Opfern von Schaulustigen geworden sind. Nach dem Unfall musste Weng operiert werden. "Auf Instagram habe ich dann ein Bild von mir gepostet, aus dem Krankenbett", erzählt sie. In dem sozialen Netzwerk hat die junge Frau berichtet, was genau passiert ist. "Mir war es wichtig, den Leuten zu sagen, wenn ihr unterwegs seid, seid aufmerksam. "

Vor allem aber war es das Gaffen, das Weng weiter beschäftigte. "Das Gaffen hat die Rettungsmaßnahmen behindert. Die Leute sind genüsslich und langsam durchgefahren, um alles zu filmen. " Die Resonanz auf den Post war positiv. Viele Menschen meldeten sich und erzählten, dass sie unter dem Gaffen leiden mussten. Weng findet es schön, "zu merken, dass man mit der Erfahrung und den Gefühlen nicht alleine ist".

DK

Lina Schönach