Ingolstadt
Spurensuche

Im Fall der vermissten Ingolstädterin Chettana Taprap hoffen die Angehörigen auf ein Lebenszeichen in Thailand

22.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:28 Uhr

 Die vermisste Chettana Taprap.

Ingolstadt/Flachau (DK) Wo bist du nur, Chettana? Jeden Tag aufs Neue wachen die Angehörigen der seit vergangenen Juni vermissten Ingolstädterin mit dieser bohrenden Frage im Kopf auf, jeden Tag aufs Neue gehen sie damit zu Bett.

Eine Antwort gibt es nicht, noch nicht. Auf einer Urlaubsreise nach Kroatien war die junge Frau verschwunden, nach Angaben ihres früheren Lebensgefährten während eines Strandspaziergangs. Eine in Österreich lebende Tante ist jetzt nach Thailand geflogen, um in der Heimat der Vermissten vielleicht Licht ins Dunkel zu bringen. Gibt es dort Hinweise auf ihr Schicksal? Und doch einen glücklichen Ausgang des Falls? Alle bekannten Umstände sprechen dagegen. Falls Chettana Taprap tatsächlich noch lebt, ist sie jetzt 32 Jahre alt, Geburtstag hat sie am 4. Dezember. Im August 2008 war die Thailänderin in ihrer Heimat aufgebrochen, um in Deutschland ihr Glück zu suchen. Genauer gesagt in Ingolstadt. Auf einer der vielen Inseln in dem südostasiatischen Königreich hatte sie einige Zeit zuvor einen Ingolstädter kennengelernt, am 23. Mai 2007 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Das Kind lebte bereits seit elf Monaten beim Vater in Bayern, als Chettana Taprap im Sommer 2008 nachkommt. Die Behörden geben ihr eine Aufenthaltserlaubnis, wie es bei einer solchen Familienzusammenführung üblich ist.

Doch schon bald legen sich dunkle Schatten über ihr Leben. Im September taucht Chettana bei ihrer in Österreich verheirateten Tante auf, wieder schwanger. „Sie wollte nicht mehr zurück zu ihrem Partner“, erinnert sich ihr Schwager. Es soll Übergriffe gegeben haben, häusliche Gewalt, wie die Polizei dazu sagt. Die Angehörigen kümmern sich um die Frau und besorgen ihr einen Platz im Ingolstädter Frauenhaus. Dort zieht sie im November 2008 ein, für gut eineinhalb Jahre. Am 3. Mai 2009 kommt die zweite Tochter zur Welt. Chettana fühlt sich wohl im Schutz der Einrichtung. Aber irgendwann müssen sie alle, die dort Geborgenheit finden, wieder hinaus ins eigenständige Leben. Und so erhält die Frau eine kleine Wohnung in der Christoph-von-Schmid-Straße, im 2. Stock rechts in einer der Mietskasernen, wie sie typisch sind für das Viertel. Dort erhält sie immer wieder Besuch vom Vater ihrer Kinder, erzählen Nachbarn. Der 34-Jährige wohnte nicht mehr mit ihr zusammen, sondern ist in einem Ingolstädter Ortsteil daheim.

Den Kontakt in die Heimat, wo ihre Familie relativ ärmlich lebt, hat die Thailänderin indes nie abbrechen lassen. Als vergangenes Frühjahr ihr Onkel stirbt, fliegt sie am 30. April 2012 nach Südostasien, um bei der Beerdigung dabei zu sein. Sie trifft dort ihre aus Österreich angereiste Tante, die am 19. Mai zu ihrem Mann nach Europa zurückkehrt. Chettana und ihre Töchter bleiben zehn Tage länger. Sie genießt den Aufenthalt in ihrem Heimatort, wo sie sich vor zwei Jahren ein Grundstück gekauft und damit begonnen hat, ein kleines Haus für sich zu bauen.

Ihr Lebensmittelpunkt liegt aber weiter in Ingolstadt, in ihrer Wohnung im Konradviertel. Eine Nachbarin hat sie in guter Erinnerung, „eine liebe Frau“. Anfang Juni sieht sie Chettana das letzte Mal, nur wenige Tage, nachdem sie von der Beerdigung aus Thailand zurückgekehrt war. „Sie hat nicht gut ausgesehen, als ob sie Probleme hätte“, sagt die Hausbewohnerin. Es sollte eine der letzten Begegnungen der Thailänderin mit jemandem aus ihrem persönlichen Umfeld sein. Um dieselbe Zeit, es war am 2. Juni, ein Samstag, telefoniert Chettana noch mit einer Freundin und lädt sie für den Tag darauf zum Essen in ihre Wohnung ein. Am Abend ist sie dann auf einmal nicht mehr erreichbar. Das vereinbarte Treffen mit der Freundin kommt nicht zustande. Die Besucherin steht zur verabredeten Zeit vor Chettanas Wohnungstür, aber keiner öffnet. Sie wundert sich. Am 4. Juni bricht Chettana, soweit bekannt, mit den Töchtern und dem Kindsvater zu einem gemeinsamen Kroatienurlaub auf der Insel Rab auf. Es ist der Beginn einer äußerst mysteriös verlaufenden Reise, von der die 32-Jährige nicht mehr zurückkehrt.

Schon kurz nach der österreichischen Grenze macht der VW-Campingbus des 34-Jährigen technische Schwierigkeiten. Weil das Fahrzeug ständig Kühlflüssigkeit verliert, sucht der Mann im Salzburger Land eine Fachwerkstatt in Radstadt auf. Den Beschäftigten in dem Betrieb fällt dabei eine „asiatisch aussehende Frau“ auf. Ob es sich tatsächlich um die 32-jährige Ingolstädterin handelte, bleibt bis heute offen. Ab diesem Zeitpunkt gibt es keinen einzigen Zeugen mehr, der Chettana gesehen hat.

Da ein Ersatzteil für die Reparatur des VW-Busses bestellt werden muss, nimmt der 34-Jährige das Fahrzeug erst einmal wieder mit und stellt es in Flachauwinkl direkt neben der Tauernautobahn knapp 200 Meter vom Restaurant „Seestüberl“ ab. Chettanas Kinder erzählen später der in Österreich lebenden Tante, dass die Mama sehr krank gewesen sei. Sie habe nicht mehr gegessen und getrunken und auch nichts mehr geredet, sie sei nur noch im Campingbus gelegen. Auch dann, wenn der Vater mit ihnen zum Essen in das nahe gelegene Lokal geht.

Vier Tage bleibt die Familie in Flachau, wobei der 34-jährige Ingolstädter zwischendurch immer wieder mit dem VW unterwegs gewesen sein muss – trotz des Motorschadens. Nach Ermittlungen der Kripo legt er 430 Kilometer im Salzburger Land zurück, zum Teil in äußerst unwegsamem Gelände. „Warum fährt jemand mit einer schwer kranken Frau so weit herum und bricht den Urlaub nicht ab“, fragt sich die Polizei. Der Mann hat bisher dazu geschwiegen, wie er sich inzwischen überhaupt nicht mehr zu den Umständen äußert. Auch dazu nicht, weshalb er bei einer dieser rätselhaften Touren mit seinem defekten Auto unweit des Ennsufers anhält und Einheimische fragt, wie dieser Fluss heiße und wohin er fließe.

Als das Ersatzteil für den VW unerwartet lange auf sich warten lässt, mietet der Ingolstädter am 9. Juni einen Wagen. Horst Hechl vom Autoverleih in Schladming in der Steiermark holt ihn in der Radstädter VW-Werkstatt ab und bringt ihn zu seinem Betrieb. „Die Frau habe ich da aber nicht gesehen“, sagt er. Der 34-Jährige übernimmt einen roten Mercedes Vito und macht sich auf den Weg nach Kroatien. Angeblich ist Chettana mit im Auto. Auf Videoaufzeichnungen an der slowenischen Grenze ist sie aber nicht im Fahrzeug zu sehen. Sie sei hinten gelegen, weil sie krank gewesen sei, sagt der Mann später bei der Polizei. Die wundert sich, dass alle Fenster mit Vorhängen verdeckt sind, obwohl sie eigentlich nicht zur Fahrzeugausstattung gehören.

Knapp drei Tage soll die Thailänderin noch mit der Familie Ferien auf der Insel Rab gemacht haben. Keiner der befragten anderen Urlauber kann sich indes daran erinnern, die Frau je dort gesehen zu haben. Selbst der Erkennungsdienst findet später keinerlei Spuren von ihr. Chettana, die angeblich tagelang nichts mehr gegessen und getrunken hatte und entsprechend schwach gewesen sein müsste, soll laut Aussage ihres früheren Lebensgefährten am 12. Juni allein zu einem mittäglichen Spaziergang aufgebrochen und nicht mehr zurückgekehrt sein. Der 34-Jährige erstattet Vermisstenanzeige, setzt sich mit den Kindern ins Auto und fährt Richtung Slowenien los. Ohne das Ende der Suche abzuwarten. „Das hat schon Züge einer Flucht“, findet ein Ermittler. Die kroatische Polizei nimmt den Mann an der Grenze fest. Es ergeht Haftbefehl, aber letztlich ist dem Ex-Partner nicht nachzuweisen, dass er mit dem Verschwinden Chettanas etwas zu tun hat. So kommt er wieder auf freien Fuß.

Die österreichische Polizei wird eingeschaltet und fliegt im Juli die Enns von der Mündung bis zur Grenze in die Steiermark mit zwei Hubschraubern auf eine Strecke von etwa 70 Kilometern ab. Sie findet die Frau nicht. Ebenso erfolglos bleibt eine Suchaktion mit über 50 Polizisten in Flachau.

Wo ist Chettana Taprap? Hat sie ihre Kinder im Stich gelassen, um vielleicht nach Thailand zu fliegen, wo sie im Mai 2012 angeblich eine neue Beziehung eingegangen sein soll? „Niemals“, glaubt eine Nachbarin, die sie gut kennt. „Dazu hat sie die Mädchen zu sehr geliebt.“ Die Passagierlisten der Fluglinien geben ebenfalls keinen Hinweis für diese Annahme. Die Tante aus Österreich ist zurzeit in Thailand. „Die Mutter hat seit Mai nichts mehr von Chettana gehört“, teilte ihr Mann am Freitag mit. „Wir suchen weiter!“ Die Töchter der Vermissten sind zu jung, um den Fall erhellen zu können. Auf einem Familienvideo sprechen sie aber davon, dass die Mama tot sei. Und weinen vor Sehnsucht nach ihr.