Ingolstadt
Blaulicht an – und dann?

05.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:41 Uhr
Symbolbild Rettungsdienst −Foto: Stephan Jansen (dpa)

Ingolstadt (DK) Ein Neuburger Notarzt rast zu einem Einsatz – zwei Wochen später flattert ihm ein Strafbefehl wegen Straßenverkehrsgefährdung ins Haus. Dieser Fall erregt derzeit die Gemüter. Doch wann darf ein Einsatzfahrzeug eigentlich mit Blaulicht unterwegs sein – und wozu ist es dann berechtigt

Wer in einer lebensbedrohlichen Situation den Rettungsdienst ruft, der will nur eines: dass die Hilfe möglichst schnell kommt. Auch der Neuburger Notarzt Alexander Hatz musste im April 2014 rasch zum Einsatzort – ein zweijähriges Kind hatte Sekundenkleber gegessen. Dem Kind konnte Hatz helfen, seine Fahrt hatte allerdings Konsequenzen, er erhielt einen Strafbefehl über 4500 Euro. Der Vorwurf: Er soll beim Überholen zwei entgegenkommende Fahrzeuge zum Abbremsen und Ausweichen auf die Bankette gezwungen haben. Hatz sagt, er könne sich an keine gefährliche Situation erinnern und hat Einspruch eingelegt. Der Fall wird nun im April vor dem Neuburger Amtsgericht behandelt. (Hier finden Sie eine Petition zu dem Thema)

Ein heikles Thema, das heiß diskutiert wird. Bei Uwe Peetz, Geschäftsführer des Landesfeuerwehrverbands Bayern, etwa hat sich bereits ein Feuerwehrler aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen erkundigt, ob der Vorfall irgendwelche Konsequenzen für die Wehren habe. Dies sei laut Peetz aber nicht der Fall. Die Fahrer der Feuerwehrautos wüssten, dass sie, auch wenn sie mit Blaulicht unterwegs seien, niemanden gefährden dürften.

Aber wann darf bei einem Einsatzfahrzeug überhaupt das Blaulicht eingeschaltet werden? Eingehende Notrufe werden von einer Zentrale koordiniert. Für die Landkreise Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen, Pfaffenhofen und die kreisfreie Stadt Ingolstadt ist das zum Beispiel die Integrierte Leitstelle Ingolstadt (ILS). Dort sitzen Experten, die die Daten aufnehmen, analysieren und dem Anrufenden erste Hilfsmaßnahmen durchgeben. Gleichzeitig stellt die Leitstelle per GPS-Standortübertragung fest, welcher Krankenwagen sich gerade am nächsten zum Unfallgeschehen befindet. Dabei ist es übrigens ganz egal, von welchem Verband oder welcher Organisation der jeweilige Wagen stammt. „Es gibt da keine Rangfolge“, sagt Wilhelm Horlemann vom Malteser Hilfsdienst. „Bei einem Notfall geht es schließlich darum, dass möglichst schnell Hilfe kommt.“

Wird dann ein Rettungswagen zum Unfallort geschickt, bestimmt ebenfalls die Leitstelle, ob er mit Blaulicht fahren darf oder nicht. Das wird laut Horlemann von Fall zu Fall entschieden. „Überspitzt gesagt: Wenn sich nur jemand in den Finger geschnitten hat, bleibt das Blaulicht aus“, sagt er. Die Sirene werde dann je nach Bedarf als Warnsignal in Gefahrenbereichen dazugeschaltet. „Das ist häufig im Stadtgebiet der Fall, zum Beispiel an Kreuzungen.“

Der Paragraf 35 in der Straßenverkehrsordnung – er heißt „Sonderrechte“ – ist die rechtliche Grundlage für Notärzte und Rettungskräfte, die schnell zu einem Einsatz ausrücken müssen. Sie sind, so steht es dort geschrieben, von den Vorschriften im Straßenverkehr befreit, „wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden“. Miriam Wolf vom bayerischen Landesverband der Johanniter-Unfall-Hilfe wird konkreter: „Um Leben zu retten, dürfen sich die Einsatzkräfte zum Beispiel auch über rote Ampeln hinwegsetzen. Die anderen Autofahrer sind auf der anderen Seite aber dazu verpflichtet, den Weg freizumachen. Einsatzfahrer dürfen nicht behindert werden.“

Dennoch bedeutet dies Wolf zufolge nicht, dass jeder einfach rücksichtslos aufs Gaspedal treten darf. „Es gilt immer die Devise ,Sicherheit vor Schnelligkeit’.“ Andere zu bedrängen und zu gefährden, gehe trotz aller Hektik natürlich nicht. Wie sich die Rettungsfahrer in solchen Extremsituationen verhalten sollen oder müssen, sei ein wesentlicher Teil ihrer Ausbildung. Regeln oder Anweisungen für die Geschwindigkeit gebe es aber nicht, sagt Hanna Hutschenreiter vom Bayerischen Roten Kreuz. „Alle Fahrer unserer Notarztfahrzeuge sind aber dazu angehalten und darauf trainiert, die Straßenverkehrsordnung einzuhalten. Schließlich sind wir auch mit Sonderrechten im Interesse von kranken und verletzten Personen unterwegs und wollen niemanden gefährden.“

Allerdings stellen die Rettungsdienste seit ein paar Jahren fest, dass andere Verkehrsteilnehmer Blaulicht und Martinshorn häufiger als früher ignorieren. „Die neuen Autos sind sehr gut isoliert“, gibt Josef Pemmerl, Leiter des Malteser Rettungsdiensts Bayern, zu bedenken. Das macht das Durchkommen deutlich schwerer, sagt Pemmerl, der auch selbst Einsätze fährt.

Marco König, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbands Rettungsdienst (DBRD), sieht in dem Neuburger Fall ein ganz grundsätzliches Problem: Ihm ist die Praxis der selbst fahrenden Notärzte per se ein Dorn im Auge: „Das ist nicht mehr zeitgemäß und in Zukunft zu unterbinden.“ Laut König habe es fast nur Nachteile, wenn ein Notarzt persönlich hinter dem Steuer sitze: Zum einen sei der Arzt überfordert, wenn er gleichzeitig fahren, funken und navigieren müsse. Manchmal müsse man auch beispielsweise etwas über Medikamente nachlesen – das könne man bereits während der Fahrt tun, wenn ein Rettungsassistent am Steuer säße. Zum anderen wäre laut König der Neuburger Fall dann womöglich gar nicht erst passiert, weil zum einen ein Zeuge an Bord gewesen wäre und zum anderen die Fahrzeuge oft auch über Datenschreiber verfügten.

Dass ein Notarzt selber fahre, ist laut König bis auf wenige Ausnahmen nur noch in Bayern üblich. Das Problem sei aber, dass viele Notärzte aber eben genau dies wollten. Unter anderem habe das damit zu tun, dass man sonst mit einem anderen Fahrer Bereitschaftsdienst auf der Wache schieben müsste und nicht im heimischen Wohnzimmer sitzen könne.