Ingolstadt
"Man muss die Täter entmonstern"

12.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:47 Uhr

»Der Blick auf die Menschen verändert sich«, sagt Profiler Alexander Horn. Nach 18 Jahren Arbeit bei der Polizei habe er feststellen müssen, dass nahezu keine Tat unvorstellbar sei - Foto: Kaufmann

Ingolstadt (DK) Mörder, Sexualverbrecher, Briefbomber: Wenn Profiler Alexander Horn eingreifen muss, dann geht es meist tief hinab in die menschlichen Abgründe. Dabei hört der 41-Jährige das Wort „Profiler“ gar nicht so gern.

Denn er ist eigentlich Leiter der Abteilung „Operative Fallanalyse“ (OFA). Die hat ihren Sitz in München und ist für ganz Bayern zuständig. Was der Kriminalhauptkommissar und sein Team machen, geht weit über die Erstellung eines Täterprofils hinaus – und auch mit den Mythen aus Film und Fernsehen hat sein Job nach eigener Aussage so gut wie nichts gemein. Deshalb hat sich Horn nun entschlossen, ein Buch über seine Arbeit bei der Polizei zu schreiben: „Die Logik der Tat.“ Daraus wird er am 22. Januar bei der Leselust im DK-Forum lesen. Wir haben mit ihm vorab über seinen außergewöhnlichen Beruf gesprochen.

 

Herr Horn, Ihr Buch heißt „Die Logik der Tat – Erkenntnisse eines Profilers“. Aber eigentlich mögen Sie diese Bezeichnung für Ihren Beruf gar nicht. Wieso?

Alexander Horn: Dafür gibt es relativ einfache Gründe: Der Begriff des Profilers greift für unsere Arbeit einfach viel zu kurz. Die Fallanalyse ist viel mehr als nur das Täterprofil. Im Kernbereich steht eine Vertiefung des Fallverständnisses. Ich muss einen Fall verstehen können, um ihn klären zu können. Es gibt Fälle, in denen wir gar kein Täterprofil erstellen. Und natürlich ist der Begriff auch mit einer großen Anzahl von Stereotypen belegt, die man etwa aus dem Fernsehen kennt.

 

Welche sind denn die häufigsten Stereotype, mit denen Sie in Verbindung gebracht werden?

Horn: Also: Wir haben weder Visionen noch Eingebungen. Und auch Intuition und Bauchgefühl sind Begriffe, die im Fernsehen immer wieder auftauchen – mit unserer Arbeit aber nichts zu tun haben. Wir arbeiten mit einer Methodik, mit Hintergrundwissen. Durch unsere Erfahrung können wir Fälle besser beleuchten.

 

Sind Sie bei Ihrer Arbeit mehr im Büro oder am Tatort?

Horn: Der überwiegende Teil unserer Arbeit findet im Büro statt. Aber wenn wir zu einem Fall hinzugezogen werden, dann schauen wir uns natürlich auch den Tatort an. Das muss nicht zu dem Zeitpunkt sein, wenn die Leiche noch dort ist. Am Tatort wirken viele Eindrücke auf den Täter. Wir wollen etwa wissen: Wie eng ist es dort? Wie gut ist das Gelände einsehbar? Dann ziehen wir uns zurück in unseren Analyseraum und zerlegen den Fall in seine Einzelteile. Am Ende versuchen wir ihn mit einem Mehrwert für die Ermittler wieder zusammenzusetzen.

 

Stimmt es, dass Sie sich einmal von Kollegen haben fesseln lassen, um eine Situation besser nachvollziehen zu können?

Horn: Ja. Die Rekonstruktion des Tatgeschehens gehört für uns dazu. Und bei manchen Entscheidungen des Täters muss man dahinterkommen, warum in aller Welt er es genau so gemacht hat – und nicht anders. Da kann es auch sein, dass wir mal eine Fesselung rekonstruieren müssen.

 

Sie haben oft mit sehr grausamen Verbrechen zu tun – etwa dem Mord an den beiden Krailinger Mädchen. Können Sie in so einem Fall Emotionen völlig ausblenden?

Horn: Unsere Arbeit lebt von der Analytik. Deswegen müssen wir auch mit einem gewissen Maß an Objektivität rangehen. Wir haben eine Methodik, die uns das erleichtert. Und wenn man diese Arbeit über Jahre macht, dann tritt natürlich auch ein Gewöhnungseffekt ein. Das ist ähnlich wie bei einem Notfallmediziner: Wenn der zu einem schweren Unfall kommt, dann weiß er, was auf ihn zukommt. Und er muss in dieser Situation handeln – auch wenn es nicht schön ist. Und das gilt auch für uns.

 

Nehmen Sie von Ihrer Arbeit tatsächlich nichts mit nach Hause?

Horn: Natürlich gibt man die Fälle nicht an der Garderobe ab. Wird man zu einem Fall wie „Dennis“ hinzugezogen, der eine Sonderkommission 14 Jahre lang beschäftigte, dann beschäftigt das einen auch über den Dienstschluss hinaus.

 

Haben Sie dann ein Hobby, das Sie auf andere Gedanken bringt?

Horn: Bei uns auf der Dienststelle machen viele Kollegen Ausdauersport. Ich gehe gerne in die Berge oder Rennradfahren. Durch die Beschäftigung mit schönen Dingen schaffe ich ganz bewusst eine Distanz zu meiner Arbeit.

 

Hat Sie Ihr Beruf verändert?

Horn: Ich glaube schon. Ichmache das nun fast 18 Jahre. Der Blick auf die Menschen verändert sich. Und vor allem die Vorstellung, wozu sie fähig sind. Gerade wenn es um menschliche Sexualität geht, zeigt sich, dass es nahezu nichts gibt, was unvorstellbar ist.

 

Und trotzdem muss der Täter laut Ihrem Buch nicht immer ein „Monster“ oder „Psychopath“ sein.

Horn: Das ist ganz wichtig. Oft haben die Menschen eine falsche Vorstellung von solchen Tätern. Jemand kann extrem grausame Taten vollbringen, aber gleichzeitig ein völlig angepasstes Leben führen. Das ist die „Banalität des Bösen“. Deswegen muss man Täter „entmonstern“ – das hilft etwa dann auch bei der Öffentlichkeitsfahndung.

 

Was war Ihr größter Erfolg?

Horn: Der „Maskenmann“ war sicher ein herausragendes Delikt. Weil sich die Fälle an Tötungen und sexuellen Missbräuchen fast über 20 Jahre erstreckten. Außergewöhnlich war der Fall vor allem auch, weil ich bis zum Schluss dran war und der Täter auch bei mir das Geständnis abgelegt hat.

 

Haben Sie auch im Gefängnis noch Kontakt zu den Tätern?

Horn: Ja. Wir gehen zum Teil auch zu den Tätern ins Gefängnis oder in die Psychiatrie und befragen sie dort. Das machen wir für unsere Forschung. Bei manchen ist das auch im Nachhinein interessant. Sie können uns beispielsweise Informationen geben, die sie zuvor geschönt oder vielleicht nur teilweise verraten haben.

 

Sind die verurteilten Täter dann in der Regel kooperativ?

Horn: Sowohl als auch.

 

Hand aufs Herz: Lagen Sie auch schon mal richtig daneben?

Horn: Natürlich. Das bleibt nicht aus, wenn Sie mit Hypothesen arbeiten. Bei diesem Briefbombenfall in Niederbayern haben wir den Täter älter eingeschätzt, als er tatsächlich war. Weil die Arbeit mit nur wenigen Referenzfällen sehr schwierig ist – und Briefbomber haben wir nun mal nicht besonders viele. Und all das Material, das er verwandt hat, deutete eher auf einen Älteren hin. Als sich am Ende rausstellte, dass der Täter ein 22-Jähriger ist, waren wir sehr überrascht.

 

Warum ist die Festlegung des Alters so schwer?

Horn: Weil sich das biologische Alter vom Verhaltensalter unterscheiden kann. Und wir können ja nur das Verhaltensalter feststellen. Aber das ist eben die Herausforderung für uns.

 

Das Interview führte Sebastian Oppenheimer.

 

Leselust mit Alexander Horn: 22. Januar 2015, 19.30 Uhr im DK-Forum in Ingolstadt. Karten gibt es in den Geschäftsstellen des DONAUKURIER und an der Abendkasse