Ingolstadt
"Wenn etwas verloren geht, ist das ein Verlust an Kultur"

05.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:17 Uhr

Ingolstadt (DK) Wolfgang Filter, Geschäftsführer des Vereins "Kulinarisches Erbe Bayern", setzt sich für den Erhalt von traditionellen Speisen ein. Im Interview spricht er über wertvolles Essen und schützenswerte Handarbeit

Herr Filter, Ihr Verein setzt sich für den Erhalt von traditionellen Speisen ein, die heutzutage nicht mehr jeder auf dem Zettel hat. Was motiviert Sie?

Wolfgang Filter: Ich habe oft gesehen, wie kulinarische Genüsse, Obstsorten und Getreidearten vergessen wurden. Und immer, wenn etwas verloren geht, ist das auch ein Verlust an Kultur. Das ist schade, das wollen wir verhindern. Und wenn es wir Älteren nicht machen, dann wohl niemand (lacht).

Da hört man raus, dass bayerische und traditionelle Kost für Sie mehr ist als der klassische Schweinsbraten. Welche Gerichte sind denn bereits kaum noch zu finden und schützenswert?

Filter: Wenn etwas verschwunden ist, dann ist es fast schon zu spät. Ich komme aus dem Bäckerhandwerk. Da fallen mir spontan die Pfennigmuckerl ein, die man immer seltener findet. Auch die Maurerlaiberl, die Eiweckerl und die Schornbladl kennen immer weniger Menschen. Das Problem ist, dass viele althergebrachte oder urtümliche Gerichte und Erzeugnisse mit deutlich mehr Handarbeit hergestellt wurden, als das heute der Fall ist. Zudem waren die Methoden oft sehr einfach. Beides hat Tücken. Denn Handarbeit ist heute in der Lebensmittelproduktion sehr teuer und oft unrentabel. Zudem verlangt der Verbraucher vermehrt nach raffinierteren Produkten. Einfach ist nicht mehr angesagt. Diese Informationslücke müssen wir schließen.

Viele traditionelle Gerichte bestehen oft aus Zutaten, die früher selbst ärmste Haushalte stets auf Lager hatten - Kartoffeln, Speck, Kraut, Zwiebeln. Sterben die einfachen Dinge aus, weil wir uns heute vermeintlich Besseres leisten?

Filter: Vielleicht, aber so einfach würde ich es mir nicht machen. Ich glaube, es hängt auch stark mit dem Zeitgeist zusammen - Stichwort Fertigprodukte. Ohne jemandem die Schuld geben zu wollen, muss man sich anschauen, wie die Leute ihr Essen zubereiten und zu sich nehmen. Unser Lebensstil hat sich verändert. Deshalb braucht es Vereine, die wertvolle Speisen bewahren wollen.

Wie muss man sich die Arbeit von "Kulinarisches Erbe Bayern" ganz konkret vorstellen?

Filter: Wir schauen uns um, welche alten Dinge noch am Markt sind und welche Personen und Verbände kann man einspannen, um Schützenswertes zu schützen. Ein Beispiel: Wir haben eine Kampagne, in der wir Gastwirte suchen, die bewusst alte Speisen für eine gewisse Zeit auf ihre Karten setzen. Das hat klein angefangen. Inzwischen haben wir in jedem Regierungsbezirk Wirte gefunden. Und heuer findet die Aktion bereits zum dritten Mal statt.

Die Bemühungen Ihres Vereins werden auch vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterstützt. Wer ist noch mit im Boot?

Filter: Wir können uns über jede Menge Unterstützung aus dem Ministerium und seinen angegliederten Institutionen wie dem Kompetenzzentrum für Ernährung freuen. Ansonsten kommt unsere Stärke natürlich durch unsere Mitglieder - nämlich die Verbände, die für die Rettung alter Speisen die Plattform bilden. Die bayerischen Bäcker sind dabei, die Metzger, der Hotel- und Gaststättenverband und viele mehr. Jüngst haben wir die Coburger Marktkaufleute, Schausteller und Bratwurstbrater gewinnen können. Das freut uns sehr. Nun ist die Bratwurst nicht direkt bedroht. Doch die Coburger Wurst zeichnet sich durch ein einzigartiges Herstellungsverfahren mit Kiefernzapfen aus. So etwas ist bewahrenswert.
 ZUR PERSON
Dr. Wolfgang Filter (65) war Geschäftsführer des Landes-Innungsverbandes für das bayerische Bäckerhandwerk. Der Träger des Verdienstkreuzes am Bande leitet heute den Verein "Kulinarisches Erbe Bayern", der kulinarisches Brauchtum bewahren möchte.