Ingolstadt
Ein Stück Heimat

15.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:04 Uhr

Siebenbürger Weihnachtsgebäck: Gerda Knall bereitet in ihrer Küche den Teig zum Backen vor. Neben ihr stehen fertige Striezel (vorne) und Hanklich. 1982 kam sie als Spätaussiedlerin mit ihrer Familie nach Ingolstadt. - Foto: Sonnenberger

Viele Aussiedlerfamilien pflegen an Weihnachten Traditionen, die sie an ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands
erinnern. Die Siebenbürger Sächsin Gerda Knall backt deshalb jedes Jahr Striezel und Hanklich.

Ingolstadt (DK) Gerda Knall sitzt auf einem weißen Stuhl an ihrem Küchentisch, der passend zur Adventszeit dekoriert ist. Zum Kaffee gibt es an diesem Nachmittag Gebäck, das sie schon seit frühester Kindheit kennt - Striezel und Hanklich. Das Backwerk aus Hefeteig ist typisch für die Region Siebenbürgen, die in Rumänien liegt. Dort lebten lange Zeit die Siebenbürger Sachsen, deren Muttersprache Deutsch ist. Doch während der kommunistischen Diktatur von Nicolae Ceausescu wanderten die meisten von ihnen in die Bundesrepublik Deutschland aus. So auch die 63-Jährige, die 1982 mit ihrer Familie nach Ingolstadt kam.

Als Kulturreferentin der Kreisgruppe Ingolstadt setzt sich die pensionierte Lehrerin heute dafür ein, dass die Traditionen und Bräuche der Siebenbürger Sachsen nicht in Vergessenheit geraten. In der Tanzgruppe, die Knall leitet, lernen Kinder Tänze, Tracht, Gedichte und Lieder der Siebenbürger Sachsen kennen. Damit verarbeitet Knall auch, dass ihre eigenen beiden Söhne sich heute nicht als Siebenbürger Sachsen fühlen. Als ihre Kinder klein waren, sei sie gerade voll damit beschäftigt gewesen, in Ingolstadt beruflich Fuß zu fassen. Für die Kinder blieb da wenig Zeit. "Das tut mir ein bisschen leid", sagt sie.

Statt der traditionellen Volkstänze lernten ihre Söhne in ihrer Jugend Standardtänze. Die Gemeinschaft der Siebenbürger kennen sie kaum, weil die Struktur nach der Ausreise aus Rumänien erst neu aufgebaut werden musste. Knall hat die Hoffnung aber noch nicht ganz aufgegeben: "Es kommt oft mit dem Alter, dass die Leute sich als Siebenbürger Sachsen fühlen."

So bald dürfte das kulturelle Erbe trotzdem nicht in Vergessenheit geraten. Alleine die Kreisgruppe Ingolstadt besteht aus 1000 Mitgliedern. "Wir sind einer der größten Vereine Ingolstadts", sagt Knall stolz. Jeden Monat findet eine Veranstaltung statt. Die wichtigsten davon sind der Kathreinenball Ende November und der Heimattag der Siebenbürger Sachsen am Pfingstsonntag. Zu diesen Anlässen kommen alle in Tracht. Viele Leute bringen vorher ihr Gewand bei Knall zum Ändern vorbei, weil sie gut schneidern kann.

Am vierten Advent feiert die Kreisgruppe normalerweise ihren traditionellen Weihnachtsgottesdienst. Da der Tag heuer auf Heiligabend fällt, haben sie die Feier in der Ingolstädter Kirche St. Markus auf den 23. Dezember um 14 Uhr verschoben. Heiligabend feiern die Siebenbürger Sachsen dann im Familienkreis. Traditionell gibt es bei Familie Knall Schweinsbratwürste, die mit Pfeffer, Salz und Knoblauch gewürzt sind. Dazu serviert die 63-Jährige Bauernbrot und Polenta. "An den Feiertagen essen wir dann Gans, Hühnerbraten oder Krautwickel." Sehr gut passe dazu der Weißwein aus Siebenbürgen.

Neben gutem Essen ist den Siebenbürger Sachsen an Weihnachten auch die Religion sehr wichtig. "Die evangelische Kirche war für uns der Halt, wohin wir uns zurückziehen konnten", sagt Knall und denkt dabei an die Zeit, als die Siebenbürger Sachsen von Ceausescus Schergen schikaniert wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel Siebenbürgen unter die Kontrolle des kommunistischen Regimes in Bukarest. Bald enteigneten die Kommunisten die Bewohner. Während der Ausreisewellen der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre durften viele nur so viel Besitz mitnehmen, wie sie tragen konnten. Knall wollte trotzdem weg, damit ihre Kinder in der Schule auf Deutsch unterrichtet werden.

Dreimal war sie seit ihrer Ausreise wieder in Siebenbürgen. Ihr Elternhaus stehe zwar noch, sei aber inzwischen unbewohnt. "Furchtbar sieht es aus." Im Sommer war sie mit einer großen Reisegruppe in Hermannstadt und in Rode, wo sie aufgewachsen ist. Obwohl viele Häuser noch stehen, an die sie sich erinnern könne, fühle sie sich dort nicht mehr zu Hause. "Nur Gebäude sind keine Heimat, weil die Menschen fehlen."

Ihr Zuhause ist inzwischen die Schanz, wo sie sich schnell integriert hat. "Ich würde in der Welt keine Stadt so mögen wie Ingolstadt", betont sie.

DIE SERIE

1 - Plätzchen

2 - Pilze

3 - Wild

4 - Karpfen

5 - Striezel

6 - Gans