Waidhofen
"Ich hatte viel zu kämpfen"

Gehörlose Manuela Raimar aus Waidhofen absolvierte erfolgreich Fachschule für Heilerziehungspflege

14.08.2019 | Stand 23.09.2023, 8:12 Uhr
Erreicht hat Manuela Raimar nicht nur berufliche, sondern auch sportliche Ziele: als Langstreckenschwimmerin des TSV Vaterstetten. Sie hat etliche Pokale zu Hause, darunter von der Deutschen Meisterschaft der Gehörlosen, und zahlreiche Medaillen. −Foto: Hammerl

Waidhofen (DK) Dass sie die beste Facharbeit geschrieben und die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin an der Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe St. Johannes Schweinspoint (Kreis Donau-Ries) mit einem Notenschnitt von 2,1 abgeschlossen hat, ist alles andere als selbstverständlich.

Denn Manuela Raimar ist von Geburt an gehörlos.

Sprechen hat sie dennoch perfekt gelernt. "Das habe ich meinen Eltern zu verdanken", sagt die 24-Jährige, "sie haben mich trainiert, und für viel Sprachtherapie gesorgt, bis ich in die Schule kam. " Im direkten Gespräch bei ihr zu Hause läuft die Kommunikation völlig unauffällig. Das ist neben ihrer Fähigkeit, von Lippen abzulesen, dem Cochlea-Implantat im linken Ohr zu verdanken, das ihr als Zweijähriger eingepflanzt und vor 1,5 Jahren erneuert wurde. "Damit höre ich gut", sagt sie, wobei das Hörvermögen schwanke. Derzeit beziffert sie es mit Gerät auf etwa 50 Prozent - auf einem Ohr. Das Implantat im anderen, das sie mit acht Jahren erhielt, funktionierte noch nie, trägt aber Störgeräusche bei. Während der direkte Dialog wunderbar funktioniert, wird das Hören in größeren Gruppen schwierig.

Für den Unterricht an der Fachschule benötigte sie technische Hilfsmittel. Die Lehrer waren über ein Mikrofon mit ihrem Online-Dolmetscher verbunden, der ihr den Unterrichtsstoff auf den Laptop brachte. Was sie während der Abschlussfeier zum Anlass nahm, zum Mikrofon zu greifen und den Lehrern von der Bühne herab "für Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber meiner speziellen Technik" zu danken, und Schulleiter Manfred Herde dafür, dass er "den Versuch wagte, mich an der Schule aufzunehmen". Ihr Dank galt auch den Mitschülern für die Chance, die sie ihr gegeben hatten. Wobei die junge Frau nicht verhehlte, "es war eine harte Zeit mit euch, ich hatte viel zu kämpfen".

Nicht alle hatten Verständnis dafür, dass der Online-Dolmetscher, den Raimar für die wichtigen Schulfächer benötigte, Wochen vorher bestellt werden musste und Unterrichtsstunden nicht einfach verlegt werden konnten. Die Kosten für Technik und Dolmetscher übernahm der Bezirk Oberbayern, nachdem ihre Mutter wie eine Löwin dafür gekämpft hatte. Zunächst schoben sich Arbeitsagentur und Bezirk die Zuständigkeit gegenseitig zu. Auch der Dolmetscher für die Abschlussfeier wurde erst nach zähem Ringen bewilligt.

Zu kämpfen ist die junge Frau von klein auf gewöhnt. Aufgewachsen ist sie in Zorneding bei München und besuchte dort im Kindergarten eine Integrationsgruppe. "Mein Gehör hat im Kindergarten nicht gestört", sagt sie. Eingeschult wurde sie in die Regelschule, was zunächst gut funktionierte. Als sie dann gemobbt wurde, schickten die Eltern sie in das Förderzentrum Schwerpunkt Hören nach Johanneskirchen, die Mittlere Reife machte sie an der Samuel-Heincke-Schule. Ihre Betreuerinnen im Internat brachten Raimar auf die Idee, Heilerziehungspflegerin zu werden. Das nötige zweijährige Vorpraktikum absolvierte sie als Freiwilliges Soziales Jahr im Augustinum in Oberschleißheim und in der Außenwohngruppe von Regens Wagner Hohenwart, wo sie während der berufsbegleitenden Ausbildung 20 Stunden in Teilzeit weiterarbeitete. "Sie hat sich von Anfang an engagiert eingebracht, das Miteinander gelang sofort sehr gut", lobt Gesamtleiterin Paula Wagner, "obwohl der Beruf sehr viel Kommunikation erfordert". Raimar werde von Bewohnern, Angehörigen und Kollegen sehr geschätzt und bereichere das Team, indem sie die Sicht der Betroffenen einbringe. Wir freuen uns, dass sie die Ausbildung so toll gemeistert hat und wir sie nun als kompetente Fachkraft gewinnen konnten", sagt die Gesamtleiterin, für die es keine Frage war, Raimar einen unbefristeten Vertrag mit 30 Wochenstunden - wie in Außenwohngruppen üblich - zu geben. "Ich gehe gerne mit Menschen um und verstehe, wie sich meine Klienten fühlen, weil ich es selbst erlebe, wie es ist, ein Handicap zu haben", sagt die junge Frau, die seit zwei Jahren in Waidhofen (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) lebt.

Ihre Wohnung ist mit Blitzlicht für Telefon, Klingel und Feuermelder ausgestattet, ihr Wecker funktioniert über Vibration, zur Arbeit fährt sie mit dem Auto. Führerschein? "Kein Problem, Gehörlose können genauso Auto fahren wie Hörende", stellt sie klar, "wir müssen halt mehr über die Augen wahrnehmen".

Als Kind habe sie es noch nicht so empfunden, doch als Erwachsene sehe sie, mit welchen Problemen Gehörlose zu kämpfen hätten. Weshalb sie darüber nachdenkt, ein Buch zu schreiben. Darüber, wie sich Betroffene beispielsweise fühlen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, nachfragen und mit einer wegwerfenden Handbewegung abgespeist werden. Oder wenn sie links liegen gelassen werden und ein Arzt oder Behördenmitarbeiter in ihrer Gegenwart nur mit den Eltern spricht. "Ich will anderen zeigen, was man trotz Handicap erreichen kann", hat sich Raimar vorgenommen, und könnte sich auch sehr gut Verbandsarbeit zugunsten Gehörloser vorstellen.

Andrea Hammerl