Wer
Im Rundumkino auf Mach 2

04.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:33 Uhr

Versuchsleiter: Airbus-Ingenieur Johannes Kellerer ist für die Cockpitinstrumentierung beim Eurofighter zuständig.

Wer in Sekundenschnelle auf eine Höhe von rund 50 000 Fuß kommen will, der muss in einen modernen Kampfjet steigen. Er kann aber auch nur so tun und einen Flugsimulator bei Airbus Defence and Space in Manching nutzen.

Die Ingenieure des Militärflugzeugherstellers im nördlichen Landkreis Pfaffenhofen tun alles dafür, damit Piloten schon am Boden realistische Flugsituationen erleben. Und das nicht etwa, um den Kampffliegern der Luftwaffe das Fliegen beizubringen - das können die nämlich schon sehr gut -, sondern um das Zusammenspiel zwischen Mensch, Flugzeug- und Waffentechnik immer perfekter zu gestalten.

Dass ein militärisches Waffensystem wie der Eurofighter angeschafft wird, um dann auf Jahre hinaus auf einem Standard genutzt zu werden, ist undenkbar. Immer gibt es Weiterentwicklungen; unablässig wird geforscht und versucht, Komponenten zu verbessern, Sensoren, Bordrechner und Anzeigeinstrumente noch leistungsfähiger zu machen oder neuen Herausforderungen anzupassen. Ganz wichtig dabei: Das Cockpit eines bemannten Flugzeugs als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine muss mit all seinen Displays so ideal gestaltet sein, dass der Pilot sich abseits des Fliegens, das beim Eurofighter ohnehin mehrheitlich Computersache ist, voll und ganz auf seine militärische Mission konzentrieren kann.

Bei Airbus in Manching sorgen Ingenieure wie Johannes Kellerer dafür, dass bei der Weiterentwicklung der Cockpitanzeigen nicht am Piloten vorbeigeplant wird. Human Factors Engineering heißt die Abteilung, die der 36-Jährige leitet. Es geht also um das Zusammenspiel von Mensch und Maschine: Ist eine neue Zieldarstellung deutlich genug, ein Warnsignal auch mitten im hitzigsten Dogfight (enger Luftkampf auf Sichtweite) noch gut wahrzunehmen, die Anzeige auf einem neuen Display zu grell oder zu diffus? Nur in beständiger Rückkoppelung zwischen Entwicklern und Nutzern kann ein milliardenschweres Programm wie das multinational entwickelte europäische Kampfflugzeug "Typhoon" auf der Höhe der Zeit bleiben.

Wenn Johannes Kellerer in seinem durch dicke Stahltüren mit Zugangscodes gut abgeschirmten Domizil am Rande des Manchinger Flugzeugwerks einen Simulatordurchlauf überwacht, dann ist er nicht alleine. Der Pilot, der unter einer Projektionskuppel in einem Cockpitnachbau sitzt, ist umgeben von einem ganzen Team, das ihn auf seinem "Flug" begleitet. In einem Kontrollraum überwachen Ingenieure und andere Kampfpiloten, die von der Luftwaffe für diese Testläufe abgestellt werden oder nach der aktiven Zeit zur Industrie gewechselt sind, sämtliche Abläufe. So ist garantiert, dass der Mann im Simulator über Funk immer im richtigen Jargon angesprochen wird, der nun mal auch viele militärische Kürzel und Fachbegriffe beinhaltet.

"Wir haben nicht nur eine Cockpitsimulation, wir simulieren das komplette Szenario - auch mit Bodentruppen und anderen Flugzeugen", erklärt Kellerer das übliche Vorgehen. Im Rundumkino des Simulators ist jede Situation einer Mission nachstellbar - der schnelle Überflug mit Mach 2 (zweifache Schallgeschwindigkeit) ebenso wie der tiefe Anflug auf Bodenziele. Es geht darum, den Piloten "durch eine geeignete Simulationsumgebung in eine konkrete und realistische Anwendungssituation" zu bringen, so Kellerer. Bei der Kontrolle der Reaktionen gehe es nicht nur um technische Details, sondern - ganz wichtig - auch um die physische und psychische Aufnahmefähigkeit des Probanden. Kellerer: "Wir haben Experten aus der angewandten Psychologie in unserem Team, die alle auch hier in der Firma promoviert haben - das heißt, sie haben dadurch das notwendige technische und taktische Know-how für die Weiterentwicklung von Cockpitfunktionen."

Wie leistungsfähig, aber auch wie anfällig ein Proband in Momenten extremer Konzentration bei einer Fülle von optischen, akustischen aber auch physischen Reizen ist, wird anhand etlicher Parameter gemessen: Die Kreislauffunktionen sind ein wichtiger Indikator, aber auch die Mimik sagt einiges über die Beanspruchung eines Menschen aus. Deshalb ist während der Simulation beständig eine Kamera auf das Gesicht des Piloten gerichtet. Wenn die Kontrolleure ihn besonders unter Stress setzen wollen, können sie ihn sogar mit einem Impulsgeber in den Nacken zwicken. Und wer hat das schon gern, wenn er gerade mitten in der Abfangjagd auf feindliche Flugzeuge ist. . .

"Wir können bei der Entwicklung eines Cockpits den Faktor Mensch nicht außen vor lassen; er stellt für unsere Arbeit das zentrale Merkmal dar", macht Johannes Kellerer deutlich, dass es bei allen Diskussionen über Drohnen und andere unbemannte Militärflugzeuge kommender Jahrzehnte in der Gegenwart des Eurofighterprogramms noch sehr menschlich zugeht. Computer haben in diesem Flieger zweifelsfrei große Bedeutung, aber entscheiden soll immer noch jemand aus Fleisch und Blut.

Was an Testergebnissen aus den Simulationen herausgelesen wird, fließt unmittelbar in die Arbeit der Entwicklungsingenieure an der Cockpitinstrumentierung ein. "Wir müssen herausfinden, ob das Design, das wir anbieten, den Piloten bestmöglich unterstützt. Daher wird intensiv getestet, bevor es ins Flugzeug kommt", verdeutlicht Johannes Kellerer.

Seine Kollegen und er können sich beim Simulatorbetrieb, auch was die Darstellung des überflogenen Terrains angeht, auf Experten aus dem eigenen Unternehmen verlassen. Die Fachleute, die für die Computerdarstellung von Gelände, anderen Flugzeugen und Bodentruppen zuständig sind, sitzen gleich nebenan und können schnell auf alle Wünsche der Cockpittester eingehen. Da wird keine Software eingekauft, sondern alles selber "gestrickt". Dass man als Entwickler angesichts solcher Möglichkeiten ins Schwärmen gerät, braucht nicht zu verwundern. Johannes Kellerer: "Die Arbeit hier ist super abwechslungsreich und bietet jeden Tag neue Herausforderungen. Für die Region ist der Airbusstandort in Manching ein echter Pluspunkt - wo in Europa gibt es schließlich ein vergleichbares militärisches Luftfahrtzentrum" ‹ŒDK