Auf
Die Frequenz unterhalb der Hörschwelle

06.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:32 Uhr

Ganz weit oben: Der Südwind in den Alpen - hier geht es die Zugspitze hinauf - erzeugt Töne im Infraschallbereich.

Auf der Suche nach dem tiefsten Ton in Bayern muss man auf die Gipfel der Alpen steigen. Hier an den Flanken der Bergmassive entsteht der Infraschall. Er ist immer da, aber nur schwer messbar.

Er kommt mit dem Wind", erklärt Professor Matthias Mändl vom Schall-Labor am Umweltinstitut der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Amberg-Weiden - unter 0,1 Hz. Alle 10 Sekunden eine Schwingung. Diesen Schall kann man künstlich nicht erzeugen. Das gibt es nur in den Alpen. Es ist der Südwind, mit seinen Fallwinden und Wirbelablösungen, der diese Töne im Infraschallbereich erzeugt.

Aber nicht nur da brummt es unhörbar und immerzu. Der sogenannte Infraschall, die tiefsten Töne, entstehen überall dort, wo Wind ist, erklärt der Schallforscher Mändl. Aber auch dort, wo Schwingungen entstehen; an den Fassaden der Hochhäuser und an langen Autobahnbrücken. Sogar im Innenraum von Lkw und Pkw kann Infraschall entstehen. Mändl beruhigt gleich. Um Infraschall überhaupt wahrnehmen zu können, muss er "unglaublich hohe Pegel haben", sagt er.

Seine Stimme klingt wie Samt, als würden die Wände sie verschlucken. Ein trockener Sound würden Tontechniker sagen. Hier im Messraum des Schall-Labors in Amberg werden Schallquellen in allen Frequenzbereichen gemessen. Dicke Kissen mit Glasfaserwolle an den Wänden fangen jede Schallwelle ab. So können sie nicht reflektiert werden und somit entsteht auch kein Hall. Ideale Bedingungen, um nur die reine Schallquelle zu messen. Schwierig wird es beim Infraschall. Um messen zu können, was wir nicht hören, muss man einigen Aufwand betreiben. In diesem Frequenzbereich gibt es unzählige andere Geräuschquellen.

"Da kommen wir wieder zum Wind", sagt der Schallforscher. Er ist eine der Hauptinfraschallquellen im Freien. Will man also den puren tiefen Ton, den Infraschall messen, muss man die Windgeräusche ausschalten. Möglich wird das mit sogenannten Grenzflächenmikrofonen, die dicht am Boden angebracht sind, weil dort kein Wind geht und der Boden sich nicht bewegt. Vorsichtshalber stülpt Mändl noch einen doppelten Windschutz darüber. Die Auswirkungen von Infraschall lassen sich nur schwer messen, weil es keine genau definierte Schallquelle gibt, die man rauf oder runter regeln könnte, wie beim Hörschall. Ab wann ein Mensch sich von einer tiefen Schallfrequenz beeinträchtig fühlt, ist schwer zu sagen, sagt Mändl. Die Pegel sind weit unter der Wahrnehmungsschwelle.

Dennoch gibt es inzwischen einige Studien, die belegen: Auch tiefe Töne, die wir nicht hören, können körperliche Reaktionen auslösen. "Aber das ist alles sehr schwierig nachzuweisen", sagt Mändl. Die Reaktionen gehen von Kopfschmerzen, über allgemeines Unwohlsein, psychische Reaktionen und Angstgefühle oder auch nur ein Druckgefühl im Magen. "Man hat das alles schon beobachtet", sagt Mändl. "Wir forschen. Da gibt es noch sehr viel Forschungsbedarf. Wir stehen am Anfang." Und noch ein Problem erschwert den Forschern ihre Arbeit: "Es gibt nicht ausreichend Versuchspersonen, die man befragen kann", klagt Mändl.

Tatsächlich gibt es wohl nur eine Handvoll Menschen in Deutschland, die für den Infraschall sehr empfindlich sind. Das reicht nicht für seriöse wissenschaftliche Studien. Das Empfinden der Menschen ist sehr unterschiedlich. Der eine wird halb wahnsinnig, erklärt Mändl, weil er irgendwie tieffrequente Geräuschquellen spürt, und der andere sagt: "Du spinnst." Darin liegt die Schwierigkeit. Von 1000 Versuchspersonen sagen 999 "Du spinnst" und einer hat irgendwie eine Wahrnehmung. Den muss man finden.

In 15 Jahren haben sich in ganz Deutschland 200 Leute über Infraschall beschwert. Und davon war noch ein Teil nicht mit dem Infraschall in Verbindung zu bringen. Das ist eine schlechte Statistik. Dass der Infraschall aber eine relevante Größe sein kann, haben Wissenschaftler bei Elefanten beobachtet. Sie kommunizieren über tiefe Frequenzen, die sie im Brustraum erzeugen. Diese Wellen werden über Füße und den Boden auch über weite Entfernungen von Artgenossen wahrgenommen.

Für den Menschen kann man solche Phänomene nicht nachweisen. Was wir wahrnehmen, hören wir auch. Das Organ für das Wahrnehmen ist das Ohr. Im tieffrequenten Bereich können wir eventuell auch etwas spüren, im Brustbereich etwa. Das kennt man von Konzerten, wenn man neben den großen Bassboxen steht. Generell ist das Ohr aber im Bereich der tiefen Töne eher unempfindlich. Wir brauchen sehr große Pegel, um einen tiefen Ton gleich laut zu hören wie einen mittleren Ton. Dennoch werde jeder Beschwerdefall untersucht. Es ist die einzige Möglichkeit überhaupt in diesem Bereich zu forschen", sagt Mändl.

Infraschall kann man überall messen. Aber es gibt nur wenige Schallquellen. Industrieanlagen, Webereien, Blockheizkraftwerke sind typische Infraschallquellen, die man auch zuordnen kann. "Machen sie mal bei rund 80 km/h das Heckfenster auf. Das wummert ganz ordentlich. "Das hört man zwar, aber der Infraschall liegt drunter." An den Flanken der bayerischen Berge hört man jedenfalls nichts. Auch nicht den Infraschall.