Gungolding
Für alle Fälle gerüstet

13.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Mit Trainingswaffen übt die Polizei in den früheren Juma-Gebäuden bei Eichstätt die richtige Taktik beim Einsatz gegen Amokläufer oder Terroristen - jeder Beamte im aktiven Dienst muss mitmachen. - Fotos: Richter

Eichstätt (DK) Jeder aktive Polizist in Bayern trainiert seit dem Amoklauf von München und dem Anschlag von Ansbach regelmäßig das richtige Vorgehen in lebensbedrohlichen Lagen. Eines der Trainingsgelände befindet sich in Gungolding im Altmühltal.

Es ist der 22. Juli 2016: Der Schüler David S. erschießt im Münchner Olympia-Einkaufszentrum acht Menschen und verletzt fünf weitere. Großeinsatz der Polizei, die den Todesschützen zweieinhalb Stunden später stellt. Der junge Mann tötet sich selbst. Zwei Tage später zündet ein 27-jähriger Asylbewerber eine Sprengstoffladung in Ansbach, er kommt dabei ums Leben und verletzt 15 Menschen. Amokszenarien und Terror mitten in Bayern, kaum eine Fahrstunde von Ingolstadt entfernt. Traurige Realität.

Szenenwechsel, wir befinden uns auf dem alten Juma-Gelände in Gungolding bei Eichstätt. Dort, wo früher Verarbeitung und Veredelung von Juramarmor den Alltag bestimmten, trainieren Kräfte der Eichstätter Bereitschaftspolizei "lebensbedrohliche Einsatzlagen", wie es intern heißt. "Wir befinden uns auf einem Musikfestival, ein Attentäter mit Langwaffe schießt plötzlich wild um sich", gibt die Polizeitrainerin eine fiktive Situation vor. Es gilt so schnell wie möglich zu handeln; auf Spezialkräfte zu warten, würde viele Menschenleben kosten.

Vier Beamte - in der Realität entspricht das zwei Streifenwagenbesatzungen, die als erste zur Stelle sind - ziehen sich Schutzwesten aus ihren Fahrzeugen über, legen Schulter- und Halsprotektoren an, setzen ihre Helme auf und greifen zu Maschinenpistolen. In Zweierteams rücken sie in eine der Hallen vor, wo das imaginäre Konzert stattfindet. Menschen schreien in Panik, immer wieder sind Schüsse aus ihrer Richtung zu hören. Keine Frage, der Amokläufer ist höchst gefährlich und kennt keine Gnade.

Zwei der Polizisten suchen hinter einem Mauervorsprung Deckung und sichern ihre beiden Kollegen, die mit den Waffen im Anschlag vorrücken. Rasch erreichen die Männer den Ort des "blutigen" Geschehens. Noch immer schießt der Aggressor auf alles, was sich bewegt. "Laufen Sie weg", rufen die Polizisten den fiktiven Konzertbesuchern zu. Dann ist die Sicht auf den "Täter" endlich frei, sie feuern mit ihren Trainingswaffen. Als er regungslos am Boden liegt, ziehen sie sich zurück. Eigenschutz hat Vorrang - jetzt hinzugehen und nach ihm zu sehen, könnte tödlich enden, sollte er einen Sprengstoffgürtel tragen.

Bei der Polizei im Freistaat hat sich seit den Gewalttaten von Ansbach und München viel getan. Das Innenministerium ließ hochwertige Schutzausstattungen (siehe Kasten) anschaffen, die im Kofferraum jedes Streifenwagens liegen. Alle Aktiven im Dienst müssen sich zudem regelmäßig über Spezialübungen - wie sie auch in Gungolding stattfinden - auf solche Situationen vorbereiten. Polizeiliches Einsatztraining nennt sich das ganz unspektakulär.

Den Begriff "Anti-Terror-Übung" vermeiden die Verantwortlichen bewusst. "Es geht nicht nur um Amokläufe oder Terroranschläge", sagt Herbert Gröschel vom Präsidium der bayerischen Bereitschaftspolizei (Bepo) in Bamberg. "Jeder häusliche Streit oder Disput in einer Disco kann ganz plötzlich eskalieren." Sein Kollege Werner Höcht, Vize-Hundertschaftsführer bei der Bepo in Eichstätt, pflichtet ihm bei: "Man muss heute mit allem rechnen - selbst eine gewöhnliche Verkehrskontrolle kann zu einer lebensbedrohlichen Lage ausarten. Der Polizeiberuf ist gefährlich, das ist ja nicht neu. Trotzdem muss man die Kollegen ständig sensibilisieren und auf solche Situationen vorbereiten."

Das Training ist daher Pflicht, "im Einsatz muss ich mich blind darauf verlassen können, dass sich mein Partner auf dem selben Stand befindet. Wer sichert? Wer rückt vor? Alles das muss sitzen", sagt Höcht. Richtiges Verhalten in lebensbedrohlichen Lagen werde bayernweit einheitlich geübt. "Man versucht außerdem, bundesweite Standards zu schaffen."

Das Thema ist so heikel, dass die Polizei sich nicht in die Karten schauen lassen will. Details zu Spezialausrüstung (außer das, was ohnehin sichtbar ist), Taktik und Vorgehensweisen im Einzelfall sollen an dieser Stelle nicht breitgetreten werden. Nur so könnten fremde Leben gerettet und das eigene geschützt werden, heißt es bei der Polizei. Soviel sei aber verraten: "Die regelmäßige Fortbildung dauert bei uns zwei Tage", sagt Herbert Gröschel. "Da geht es zunächst einmal um die Theorie, wobei man Fälle wie die in Ansbach und München durchaus heranzieht: Wie hat der Täter reagiert? Wer war von der Polizei zuerst da? Hat die Alarmierungskette funktioniert? War der Funkkontakt immer gegeben" Im praktischen Teil folgten dann die fiktiven Lagen, die es gemeinsam zu bewältigen gilt. Auch das Schießtraining gehöre dazu. Mindestens ebenso wichtig: "Ein halber Tag ist dem Thema Erste Hilfe gewidmet, zum Beispiel wie Schuss- oder Explosionsverletzungen zu versorgen sind."

Während die Bepo in Gungolding übt, nutzt die Polizeiinspektion Ingolstadt das neue Schießkino an der Gutenbergstraße und ein Gebäude daneben. Situatives Schießen ist ein wichtiger Punkt: Wann darf ich abdrücken, wann nicht? "Wir nutzen auch leer stehende Gebäude und andere Objekte für unser polizeiliches Einsatztraining", sagt Inspektionsleiter Peter Heigl. "Jeder Beamte muss das vier Mal im Jahr absolvieren. Es nützt nichts, wenn ich das nur einmal im Leben übe und später nicht weiter trainiere und an Entwicklungen anpasse."