Grafenau
Die Hochburg der Höflichkeit

In Knigge-Kursen lernen die Bewohner von Grafenau alles über gutes Benehmen

19.10.2012 | Stand 03.12.2020, 0:56 Uhr

So geht das: Knigge-Experte Hans-Michael Klein zeigt den korrekten Umgang mit dem Suppenlöffel - Foto: Preiss/dapd

Grafenau (dapd) Auf dem weißen Porzellanteller liegt ein großes Schnitzel. Der Mann im braunen Sakko setzt die Gabel an und fängt an zu schneiden. „Nein, falsch. Sie müssen den Gabelschaft in der Handinnenseite verstecken“, korrigiert ihn ein Herr. Und der muss es wissen. Denn Hans-Michael Klein ist Vorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft und gutes Benehmen seine Spezialität. Sein Wissen gibt er an diesem Freitagvormittag im Landhotel Postwirt bei Grafenau im Bayerischen Wald weiter.

Schon seit Donnerstag üben sich die Grafenauer in gutem Benehmen, obwohl sie ohnehin bereits in der „Höflichsten Stadt Deutschlands“ leben. Dazu hat die Knigge-Gesellschaft den Ort erkoren und veranstaltet dort vom 18. bis 21. Oktober ein verlängertes Benimm-Wochenende mit Kursen rund ums Thema. Die Menschen in Grafenau seien „sehr freundlich, offen, herzlich und besonders höflich“, versichert Klein. Doch sie wollen noch dazulernen: „Man stellt sich selber oft die Frage, ob man alles richtig macht“, sagt Kursteilnehmer Andreas Klein, der die Gabel beim zweiten Anlauf richtig an dem Übungsschnitzel aus Gummi ansetzt. Und alles richtig zu machen, das ist gar nicht so einfach.

Die Schwierigkeiten beginnen bereits vor dem Essen, beim Eintreten ins Lokal. „Ladies first“, da sind sich die Knigge-Schüler einig. Und so durchschreitet Paula Greipl vor ihrem Knigge-Mitschüler Klein die Tür zum Seminarraum des Postwirts. Sie steuert auf den Tisch zu, Klein geht hinterher. Und da ertönt er, der Buzzer-Ton, der die Knigge-Schüler erbarmungslos auf ihre Fehler aufmerksam macht. „Die Frau geht zuerst, bleibt aber direkt hinter der Tür stehen und der Mann geht in den Gastraum voraus“, belehrt Benimm-Trainer Klein. Der Brauch komme noch aus dem Mittelalter, denn Raufereien waren damals keine Seltenheit in den Wirtshäusern.

Um gutes Benehmen bemüht man sich auch im Raum 520 der Realschule Grafenau. In großen Lettern stehen Begriffe wie „Knigge“, „Manieren“, „Anstand“ und „Höflichkeit“ an der Tafel. In Rollenspielen sollen die Schüler lernen, wie man sein Gegenüber richtig begrüßt. „In kleinen bis mittleren Städten begrüßt man jeden, der einem begegnet“, erklärt Knigge-Trainer Sebastian Atzesdorfer den Neuntklässlern. Verena und Julian sollen sich vorstellen, sich auf dem Gehsteig zu begegnen. Sie laufen aneinander vorbei. Julian grüßt seine Mitschülerin zuerst. „Richtig“, sagt Atzesdorfer. Doch der letzte Schliff fehlt noch: „Der Mann geht immer auf der Gefahrenseite.“ Julian hätte auf dem imaginären Gehsteig an der Außenseite an Julia vorbeilaufen müssen, dort wo die Autos fahren.

Schon seit acht Jahren gibt Atzesdorfer Knigge-Unterricht an Grafenauer Schulen. In zwei Wochen schreiben die Schüler einen Test über die Benimm-Regeln. Die 15-jährige Verena findet den Kurs gut, denn „die Älteren sagen immer, dass die Jungen keinen Anstand haben, so kann man beweisen, dass man doch einen hat“.