"Gott schütze unsere Heimat"

19.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:18 Uhr
Erhielt gestern nach seiner Regierungserklärung von ausnahmslos allen Fraktionen Applaus: Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Im Hintergrund Landtagspräsidentin Ilse Aigner. −Foto: Hoppe, dpa

Über Unvernünftige, die den Ernst der Lage noch nicht erkannt haben, ärgert sich Markus Söder in seiner Regierungserklärung zur Corona-Krise. Wirklich aufregen muss er sich aber über diejenigen, die die Schutzmaßnahmen vorsätzlich unterlaufen.

Die Lage ist ernst", sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und schiebt hinterher: "Sehr ernst." Wer den Mann an der Spitze des Freistaats in diesen Tagen ganz genau beobachtet, erkennt eine zunehmende Ungeduld. Söder, der in den zurückliegenden zwei Wochen nicht nur Bayern, sondern die gesamte Republik in den längst überfälligen Krisenmodus versetzt hat, kann nicht verstehen, dass der ernst der Lage noch nicht bei allen angekommen ist. Niemand könne derzeit irgendwelche Versprechen abgeben, Prognosen oder Garantien, niemand könne sagen, wie lange die Krise noch gehe, wie schlimm sie werde und wer am Ende betroffen sein werde. Klar sei aber: "Es werden Menschen sterben."

Dass sich Jugendliche tatsächlich noch zum Abhängen in Parks träfen, sich die Menschen in Massen auf öffentlichen Märkten drängten und sich viele noch immer mit Freunden zum Flanieren verabredeten - Söder kann darüber nur den Kopf schütteln. "Es gilt der Grundsatz: Zur Arbeit, zum Lebensmitteleinkauf oder zur Hilfe für andere. Alles andere kann und muss warten", sagt Söder. Es klingt längst nicht mehr wie ein Appell, so, wie noch vor ein, zwei Wochen: "Bleiben Sie Zuhause, laden Sie niemanden ein. Gehen Sie spazieren - alleine."

Schon für die Unvernunft hat Söder kaum noch Verständnis und macht deshalb in seiner Regierungserklärung im seltsam leeren Landtag (nur jeder Fünfte Abgeordnete ist anwesend, eine freiwillige, zwischen den Fraktionen abgesprochene Maßnahme, um den Sicherheitsabstand untereinander zu wahren) die Ansage, dass jedem klar sein müsse, dass dann "am Ende nur die bayernweite Ausgangssperre" bleibe. "Wenn es keine Unterstützung gibt, dann müssen wir handeln." Wer Söder kennt, weiß, dass das nur sachlich klingt, in Wahrheit aber ziemlich ultimativ gemeint ist.

Vollends verständnislos reagiert er, wenn nicht aus Unvernunft, sondern vorsätzlich über die Stränge geschlagen wird: "Corona-Partys sind kein Spaß. Auch ältere Menschen aus Jux anzuhusten und dann Corona zu rufen, ist ein unmögliches Verhalten", sagt Söder. Polizei und Sicherheitsbehörden seien angewiesen, hier rigoros einzuschreiten. "Das gleiche gilt für Fake News oder Aktionen wie den Hackerangriff auf Mebis", die digitale Lernplattform der bayerischen Schulen, mit der der Unterrichtsausfall möglichst kompensiert werden soll. "Wir werden uns mit Ordnungs- und Strafrecht wehren", sagt Söder - und jetzt klingt er richtig kühl. In seiner Philippika verkneift er sich diesbezüglich auch einen Hinweis nicht: "In Italien hat es auch jüngere Menschen gegeben, die an Corona gestorben sind."

In der Regierungserklärung zählt Söder die Vielzahl der Maßnahmen noch einmal auf, die in den zurückliegenden zwei Wochen getroffen wurden: Veranstaltungsverbote, Schul- und Kita-Schließungen, Schaffung von Krankenhauskapazitäten, und Programme zur Unterstützung der Wirtschaft - Steuerstundungen, Sicherung der Liquidität, Bürgschaften und Soforthilfen. Zehn Milliarden Euro an bayerischem Geld sollen dafür zur Verfügung gestellt und die Schuldenbremse dazu gelockert werden (dass das in einem Ausnahmezustand wie im Moment tatsächlich möglich ist, war schon vor Jahren in dem Gesetz so festgehalten worden). Der Bund, so fordert es Söder, solle ein 100-Milliarden-Euro-Programm auflegen, besser noch eines mit 150 Milliarden. Ziel müsse sein, dass die Unternehmen in der Krise ihre Mitarbeiter im Unternehmen halten - es gehe auch wirtschaftlich ums "Überleben, schlichtes Überleben".

Während sich also das öffentliche Leben verlangsame, nähmen die erforderlichen Maßnahmen spürbar an Tempo auf, so Söder. "Ich hätte persönlich nie für möglich gehalten, in welchen Dimensionen wir heute politisch denken und handeln müssen."

Zum Abschluss versuchte Söder aber auch ein wenig Zuversicht zu verbreiten: "Die Situation ist für alle schwierig. Ich sage aber auch: Wir kommen da durch. Es gibt eine Zeit nach Corona. Bayern wird auch danach noch da sein", so Söder, und: "Gott schütze unsere Heimat."

Am Ende von Söders Regierungserklärung gab es ein starkes Symbol: Das gesamte Parlament ausnahmslos über alle Fraktionen hinweg spendete Applaus. Dass es derlei in dieser Form schon mal gegeben hätte, daran können sich selbst langjährige Landtags-Beobachter nicht erinnern. Ein weiteres Signal, wie ernst die Lage tatsächlich ist.

Entsprechend waren auch die Reden der einzelnen Fraktionen praktisch frei von parteipolitischem Gezänk: Das Überstehen der Corona-Krise werde "nicht leicht, nicht schnell, nicht billig", sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Die Maßnahmen der Staatsregierung, gerade auch die Zurverfügungstellung von mehr Finanzmitteln, würden mitgetragen. Es gebe lediglich einige "konstruktive Anregungen", die sie geben wolle - etwa viele und schnelle Corona-Tests zu machen. "Am besten: Testen", sagte Schulze. Nur der Vollständigkeit halber mahnte sie zudem an, dass die "einschneidenden Maßnahmen" wie die Eingriffe in die Grundrechte, die aber derzeit zweifellos notwendig seien, nach der Krise auch vollständig zurückgenommen werden müssten. Darauf müsse eine liberale Demokratie achten.

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer versicherte entsprechend, Corona sei "eine absolute Ausnahmesituation" und "außergewöhnliche Notsituation". Aber wer "kein zweites Italien" wolle, müsse das vorhandene Zeitfenster jetzt nutzen.

Für die AfD erklärte Ingo Hahn, es sei jetzt "nicht die Zeit für politische Kämpfe", es gebe nur noch die gemeinsame Arbeit zur Bewältigung der Krise. "Wir bieten unsere vollumfängliche Hilfe an, um die Lage unter Kontrolle zu bringen." Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, befand, "die Lage ist todernst". Nach der Krise "werden wir in einer anderen Welt leben". SPD-Fraktionschef Horst Arnold mahnte, neben den Hilfen für die Wirtschaft dürfe man auf keinen Fall vergessen, was die derzeitige Belastung für die psychische Verfassung der Menschen bedeute. Und Martin Hagen, Fraktionschef der FDP, nennte es "selbstverständlich, dass alle politischen Kräfte an einem Strang ziehen".

Als Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) am morgen die Plenarsitzung eröffnet hat, hat sie die "besonderen Vorzeichen" betont, unter denen die Sitzung stehe: Nur jeder fünfte Abgeordnete nehme an der Sitzung teil, um die Sicherheitsabstände einzuhalten. Auf die Beisitzer werde im Präsidium ebenso verzichtet wie auf die Stenografen - die würden außerhalb des Plenarsaals mitschrieben. An jeder Ecke fand sich Desinfektionsmittel, die Sitzungen werden so kurz und unaufwändig gehalten, wir irgend möglich. Politiker und Journalisten kamen überein, dass Interviews oder sonst übliche Gespräche unter vier Augen nur telefonisch oder via Internet gemacht werden, nicht in der Landtagslobby. "Wir haben eine Vorbildfunktion für die Bevölkerung - die dringend aufgerufen ist, auch wenn es schwer fällt, soziale Distanz zu halten". Dass der Landtag in diesen Tagen trotzdem zusammenkomme, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen, von der Änderung der Geschäftsordnung über den Nachtragshaushalt bis zum bayerischen Infektionsschutzgesetz, zeige, so Aigner, dass das oberste Verfassungsorgan "jederzeit handlungs- und beschlussfähig" bleibe. "Demokratie steht niemals still."

DK

Alexander Kain